Kölner Schauspiel Uraufführung: Jens Albinus inszeniert sein Stück "Helenes Fahrt in den Himmel"

KÖLN · Manche Selbstmörder nehmen Schlaftabletten, doch Helene will in ihrem leeren Leben wenigstens noch Schmerz spüren. Also stürzt sie sich in Fressorgien bis zum Erbrechen, Fitnessquälerei bis zur Ohnmacht, vor allem aber in wahllosen, schmutzigen, selbstzerstörerischen Sex.

 Stark als Schmerzensfrau: Katharina Schmalenberg verkörpert die Titelheldin in "Helenes Fahrt in den Himmel".

Stark als Schmerzensfrau: Katharina Schmalenberg verkörpert die Titelheldin in "Helenes Fahrt in den Himmel".

Foto: Thomas Aurin

"Helenes Fahrt in den Himmel" ist die Chronik eines angekündigten Todes, die von Jens Albinus in der Halle Kalk des Kölner Schauspiels uraufgeführt wurde. Tragischerweise reiht sich der dänische Autor und Regisseur in die Schar jener Männer ein, die der psychisch angeschlagenen Heldin zu wenig Aufmerksamkeit schenken.

Denn ihm geht es um mehr: Gleich zu Beginn tritt "der älteste Mann Europas" auf und sieht den alten Kontinent wie einst Kolumbus' Schiff auf schlingernder Fahrt, die bei halb verzehrtem Proviant und verpasster Rückkehrchance ins Ungewisse führt. "Krise" wird zum Schlüsselwort, und beim Blick in Europas kranke Seele findet Albinus intellektuelle Egozentrik (bei Helenes Schriftstellergatten Martin) und gefühlskalt zugekleisterte Abgründe (beim Polizisten Andreas und seiner Frau Sidse).

Dazu überall versteckte Kameras, sensationsgierige Medien und falschen Betriebs(fest)-Frieden bei Ikea. Leider ist Albinus' Stück weniger stringent konstruiert als ein Billy-Regal: Das Scharnier zwischen arg pauschalem Politgleichnis und Psychodrama wackelt bedenklich. So zappt der Autor vor der öden Sperrholzwand (Bühnenbild: Rikke Juellund) in einer halbherzigen Nummerndramaturgie zwischen beiden Ambitionen hin und her.

Benjamin Höppners schluffig-schlapper Martin wird immerhin zum Gesicht der Krise: Die allgemeine begreift er nicht, die existenzielle seiner Frau braucht er womöglich als kreativen Treibstoff fürs nächste Buch. Höppner brilliert vor allem bei einer Kletterpartie ins Publikum, wo er groteske Patentrezepte verteilt: "Duzen Sie Ihre Krise. Umarmen Sie Ihre Krise. Kuscheln Sie mit Ihrer Krise."

Letztlich bleibt freilich auch seine Figur eher ein Charaktergerippe. Das gilt auch für Melanie Kretschmanns zickig-coole Sidse, die sich weniger um die blutende Helene am Boden sorgt als um die Mülltonnen, die ihr impotenter Gatte (Robert Dölle) nicht rechtzeitig rausgestellt hat. Solche bös-absurden Szenen treffen jenen Nerv, den Albinus in Kabaretteinlagen wie der "Grenztourismus"-Klamotte verfehlt.

Den stärksten Trumpf spielt die Inszenierung gleich zu Beginn aus: Gespenstisch kontrolliert, ohne jede Weinerlichkeit schildert Katharina Schmalenbergs Helene ihren Amoklauf gegen sich selbst. Eine Frau wie ein stummer Schrei, die ihren in "Liebes"-Akten zerfetzten Leib bald nur noch wie ein waidwundes Tier über die Bühne schleppt.

Diese Leistung ist die bestürzende Sensation des Abends, der seiner Textdrastik szenisch kaum je gewachsen ist. Erst spät wagt der Regisseur suggestive Projektionen und öffnet die Holzwände für eine grell illuminierte Totentanzkulisse. Da hat Helene ihre einzige Gefährtin (Magda Lena Schlott) längst verloren und wartet auf ihren letzten bestialischen Liebhaber.

Albinus drückt sich ein wenig vor der Unerträglichkeit dieser Szene und fühlt sich im zynischen Epilog der Überlebenden ("sie war eben suizidal") sichtlich wohler. Insgesamt werden Stück wie Regie der verzweifelten Heldin zu selten gerecht, doch der starke Beifall war einhellig.

Info

Termine: 20., 23., 27. und 29.-31.1.; Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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