WDR Sinfonieorchester: Stürmisch bewegte Entdeckungsreise

KÖLN · Manfred Honeck dirigierte in der Kölner Philharmonie Musik von Walter Braunfels und Gustav Mahler.

Die Solisten unter den Bratschern stimmen immer mal wieder gern das Klagelied über das schmale Repertoire an. So üppig wie die Geiger und Cellisten wurden sie von den Komponisten zwar tatsächlich nicht bedacht, aber wer beim jüngsten Konzert des WDR Sinfonieorchesters in der Kölner Philharmonie dabei war, wird in dem Gefühl in die Pause gegangen sein, dass die Bratscher nun einen Grund weniger zur Klage haben. Und dieser Grund ist die Entdeckung der wunderschönen und überaus lohnenden "Schottische Fantasie" für Viola und Orchester aus der Feder des Komponisten Walter Braunfels. Er hatte dieses Werk vollendet, kurz bevor die Nazis ihn 1933 als Rektor der Kölner Musikhochschule seiner jüdischen Herkunft wegen vor die Tür setzten und er zunächst nach Bad Godesberg weiterzog.

Der österreichische Dirigent Manfred Honeck, heute Chef des Pittsburgh Symphony Orchestra, setzt sich seit vielen Jahren für die Rehabilitierung des zwischen den Kriegen überaus erfolgreichen Komponisten ein. In Köln führt er nun mit dem Franzosen Antoine Tamestit als Solisten, der selbst einige Zeit an der Musikhochschule in Köln lehrte, die Schottische Fantasie auf. Das Stück ist voller überraschender instrumentaler Wirkungen, fantasievoller harmonischer Wendungen und findet souverän eine sichere Balance zwischen expressiven Gesten und folkloristischen Anklängen, für die nicht zuletzt auch die Harfe zuständig ist. Dass die Bratsche zum ersten Mal mit einem sonoren Ton an einer Stelle einsetzt, wo die Streicher in ätherischen Höhen verharren, ist schon von besonderer Wirkung. Überaus feinsinnig komponiert ist auch etwa die über ein Hornthema eingeleitete Solokadenz, die Tamestit mit geschmeidigem Ton zum Erblühen brachte. Nach großem Applaus aus den leider längst nicht ausverkauften Reihen der Philharmonie, bedankte sich Tamestit mit einem Capriccio von Henri Vieuxtemps.

Manfred Honeck hatte in diesem Konzert, das mit dem Motto "Lebenskurven" überschrieben war, absichtsvoll Braunfels' Werk mit der ersten Sinfonie von Gustav Mahler konfrontiert. Beides Komponisten jüdischer Herkunft, und auch Mahlers Musik fand erst ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod wieder Eingang in die Konzertsäle. Die erste Sinfonie mit dem Beinamen "Der Titan" fand unter Honecks Leitung eine durch und durch erfüllte Wiedergabe. Vor allem das "Wienerische" Idiom mit seinen Walzer- und Ländler-Anklängen oder die im dritten Satz evozierten böhmischen Musikanten fanden hier in den an der Volksmusik angelehnten rhythmischen Phrasierungen eine sehr lebendige und authentische Wiedergabe. Auch die irreale Klangwelt des Beginns mit seinen Naturlauten oder die ungeheure Dynamik des stürmisch bewegten Finales fanden eine beispielhafte Deutung. Ein Glück, dass man dieses Konzert noch vier Wochen lang mit dem Konzertplayer von WDR 3 nachhören kann.

Das Konzert im Netz: konzertplayer.wdr3.de

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