Malerei Stillleben von Carl Schuch im Stadtmuseum Siegburg

Vermeintliche Randfiguren entpuppen sich plötzlich als tragende Charaktere, sobald man nur einige Prämissen des Denkens anders formuliert als gerade üblich. Und eben das sollten wir uns erlauben: Gelegentlich einen Schritt neben die vertraute Position wagen, um eine neue Perspektive zu gewinnen.

 Carl Schuchs "Chiantiflasche, Fruchtschale und Obstteller", um 1882/83.

Carl Schuchs "Chiantiflasche, Fruchtschale und Obstteller", um 1882/83.

Foto: Katalog

Denkgewohnheiten aufzubrechen, innere Schubladen auszumisten, die Glaubenssätze (nicht einer anderen, sondern der jetzigen Zeit) infrage zu stellen. Carl Schuch - eine Künstlerfigur, die geeignet ist, manche Vorstellungen von Fortschritt und Tradition, Gegenständlichkeit und Abstraktion über den Haufen zu werfen.

Sein Werk lässt sich nicht auf das platte Koordinatensystem nageln, dessen wir uns gerne bedienen, oder nur um den Preis, dass Wichtiges - vielleicht das Entscheidende - unter den Tisch fällt. Und jetzt bietet eine kleine Ausstellung in Siegburg Interessierten Gelegenheit, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Carl Schuch (1846-1903) stammte aus Wien, von wo er ausschwärmte, als Reisender durch Europa, selten hielt es ihn irgendwo mehr als drei Monate. Das Ende seines Lebens verbrachte er - krank - wieder zu Hause, in der Irrenanstalt; man hielt es für Größenwahn, als er sich zum wichtigsten Maler Wiens erklärte.

Schuch ist einer der bedeutendsten Halbbekannten geblieben, verehrt in Künstlerkreisen, einem breiteren Publikum und vielen Kunsthistorikern geriet er nicht in den Blick. Dort im Siegburger Stadtmuseum hängen plötzlich zehn Schuchs auf einmal, und man kann sie sich in Ruhe aus der Nähe ansehen: Genau hinschauen, wie das gemalt ist, mit welchem Gefühl für Schmelz und Klassizität, fernab jeder Haar-für-Haar-Feinpinselei.

Die Begegnung mit diesen Gemälden dort oben im lichtdurchfluteten ersten Stock des skurrilen Museums, wo man kaum von anderen Besuchern gestört wird, hat etwas märchenhaft Intimes. Dabei ist dort nichts perfekt - Beleuchtung, Hängung -, gleichviel, es ist ein Fest, dieser Malerei so privat gegenübertreten zu können.

Bald dreißig Jahre ist es her, dass erstmals eine große, neunzig Gemälde umfassende Schuch-Ausstellung gezeigt wurde (in Mannheim und München), die geeignet schien, diesen Künstler ins rechte Licht zu rücken. "Saftigkeit und Feinheit", schrieb ich damals in einem Essay über ihn für eine (inzwischen nicht mehr existierende) Kulturzeitschrift, "Entschlossenheit und Weichheit, ein genialer Sinn für die Materie, in der Welt und auf der Pinselspitze. Haargenau das, was Würde im bürgerlichen Leben nicht bedeutet."

Vom Bürgertum ist nicht viel übrig geblieben, aber Schuchs Kunst erstrahlt - wenn man hinsieht - heller denn je. Die Ausstellung in Siegburg ist "Carl Schuch und die zeitgenössische Stilllebenfotografie" überschrieben, was immer man sich von dieser Kombination erhoffte. Folglich sind auch die dort gezeigten Schuchs durchweg Stillleben.

Die wiedergegebene Realität bildet jedoch nur den Vorwand für die aus Farbmaterie geschaffene Wirklichkeit der Malerei selbst. Reine Kunst also, oder, wie die besten Franzosen seiner Zeit proklamierten, jene, die wir angeblich so bewundern, um über die Konstituanten ihres künstlerischen Denkens und Wollens die Nase zu rümpfen: L'art pour l'art. Die Geschichte der wechselnden deutschen Probleme damit ist zu verdrießlich, sich lange dabei aufhalten zu wollen. Immer wieder dieselbe prüde Abneigung, neu kostümiert.

Schuch gehörte zum Kreis um Wilhelm Leibl, dem Großmeister solch reiner Malerei, dessen maltechnischem Credo, der Primamalerei, er - wie sein Freund Wilhelm Trübner übrigens auch - konsequent folgte. Die unnachahmliche Geschmeidigkeit des Farbauftrags ist auch nur so zu begreifen. Worum es ihnen ging, das war eine autonome Kunst, die sich für kein externes Ziel verwässern lässt. Ein Programm, das seine Poesie aus Sachlichkeit schöpft.

Als ich, kurz vor seinem Tod, den Dichter H.C. Artmann (auch er einer, von dem in erster Linie Kollegen wissen, was er wert war) fragte "Worum geht's beim Schreiben?", lautete seine Antwort vor der Kamera knapp und entschieden: "Um die Buchstaben." Carl Schuch würde auf die Frage, worum es geht in der Malerei, vielleicht ebenso trocken sagen: Um die Farbmaterie.

In Siegburg belässt man es (leider) nicht bei seinen Bildern, sie werden wild mit Werken 16 zeitgenössischer Fotografen kombiniert - darunter durchaus sehenswerte Arbeiten von Künstlern wie Christopher Muller, Johannes Brus oder Claus Goedicke. Aber diese Konfrontation stiftet nur Verwirrung, weder sieht man die Fotos anders, noch nimmt man an Schuchs Malerei Neues wahr.

Was sollte so auch herauskommen? Bei ihm, nochmals gesagt, geht es ja gar nicht um die Gegenstände, die ihm nur den Vorwand liefern, seine Malerei ins Spiel zu bringen: Carl Schuch, der Zeit seines Lebens kaum ein Bild verkaufte und dabei einer der größten Maler seiner Epoche war, nur haben das noch immer nicht alle bemerkt. Vielleicht ändert daran ja der unperfekte kleine Sommertraum von Siegburg etwas - in ein, zwei Köpfen. Es geht doch immer nur um Einzelne.

Stadtmuseum Siegburg, Markt 46; bis 8. September. Di-Sa 10-17, So 10-18 Uhr. Katalog (Kerber Verlag) 20 Euro

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