Düsseldorfer Kunstsammlung NRW Sinnbild des ewigen Sisyphos

DÜSSELDORF · Für ihn ist Kunst nicht nur Inspiration, sondern auch Maloche. In einem Film der großen Düsseldorfer "Uecker"-Retrospektive sieht man den massigen Mann mit halbnacktem Oberkörper als Müller in seiner "Sandmühle" schuften, ein Sinnbild ewiger Sisyphos-Plackerei.

Oder er geht mit einem geschulterten Riesennagel durch die Gassen von Kairo, um so an eine orientalische Märchenfigur zu erinnern, deren Haus nur von einem Nagel zusammengehalten wird.

Wie viele Nägel Günther Uecker wohl im Lauf seines knapp 85-jährigen Lebens eingeschlagen hat? Die Kunstsammlung NRW (K 20) in Düsseldorf beantwortet diese Frage natürlich nicht, stellt den eigenwillig-sensiblen Künstler aber mit 60 Werken aus fünf Jahrzehnten in all seinen Facetten vor. Klar, man kennt ihn für seine Nagelreliefs, die hier in der Klee-Halle des Hauses erneut staunen lassen: Wie allein Einschlagsrichtung, -dichte und Farbe der Nägel die Illusion wogender Felder, wirbelnder Wolken oder strudelnden Wassers erzeugen - das ist in der Kunstwelt einzigartig.

Oft wirken die brachial durchs Holz getriebenen Stahlstifte geradezu so, dass man sich ins vermeintlich Flokati-weiche Nagelbett kuscheln möchte. Und manchmal meint man, einen ganz zarten Flaum auf den eisernen Köpfen zu sehen. Was für ein Universum sich hier zwischen nachtschwarzer Düsternis und erdfarbener Wärme auftut, zeigt die luftig gehängte Schau suggestiv.

Und jeder Schritt des Betrachters, ob zur Seite oder zurück, ändert den Eindruck beträchtlich, lässt diese Nagelfelder atmen. So wirken Ueckers Stillleben ungemein dynamisch - als ob die Nägel wie dünne Metallspäne einem unsichtbaren Magnetfeld gehorchten. Natürlich ist dem auf der

Ostsee-Halbinsel Wustrow aufgewachsenen Künstler bewusst, dass der Nagel beides symbolisiert: Verletzung und Schmerz - man denke an die Passion Christi - aber auch Schutz. Wie aufgestellte Igelstacheln recken sich die dicht gesetzten Nagelköpfe möglichen Angreifern entgegen.

In seinen Anfangsjahren als ZERO-Mitglied hat Uecker Treppen genagelt, Klaviere zertrümmert oder das Meer mit Feuerpfeilen beschossen. Doch das Spektakel ist in diesem gewaltigen Werk zunehmend Kontemplation und Protest gewichen. In der benachbarten Grabbe-Halle rattert, poltert und rüttelt auf Knopfdruck zwar auch das gigantische "Terrororchester" mit "Kreischfass" oder "Peitschentrommel". Vor allem aber stellt sich Günther Uecker hier als Widerstandskämpfer gegen die "Verletzung des Menschen durch den Menschen" vor.

Das gleichnamige Werk, ausgelöst durch ausländerfeindliche Anschläge im wiedervereinigten Deutschland, besteht aus 60 wandfüllenden Worten für physische und seelische Folter und wandert in diversen Landessprachen als Humanitätsappell um die Welt. Geschriebene Sprache als Bildelement prägt auch seinen 1994 verfassten "Brief an Peking". Doch die Menschenrechtsbotschaft auf 19 großen Leintüchern ist beim Adressaten zunächst äußerst unerwünscht und kommt erst 13 Jahre später im Nationalmuseum der Hauptstadt an.

Eindrucksvoller Teil der Installation ist der "Aschemensch", mit dem Uecker die Atomkatastrophe von Tschernobyl symbolisiert. Auf einer leimbestrichenen Leinwand wälzte sich der mit Asche überschüttete Künstler wie im Todeskampf. Was bleibt, ist die weiße Negativform seines Körpers, ein Abwesender im wilden Ascheregen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Riesenraums findet man sein Mahnmal "Black Mesa", das gegen die Vertreibung der amerikanischen Navajo-Indianer aus ihren uranreichen Reservaten protestiert. Kein Zweifel, der Mann ist weltweit in mitmenschlicher Mission unterwegs, doch nicht jedes Werk birgt eine politische Botschaft. Vor "Black Mesa" pflügt die "Sandmühle" unermüdlich minimale Veränderungen ins feinkörnige Rund. Ein beruhigendes Mantra, aber auch ein Symbol der ebenso unspektakulär wie unerbittlich verrinnenden Zeit.

Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, Grabbeplatz 5; bis 10. Mai, Mo-Fr 10-18, Sa/So/Feiertag 11-18 Uhr. Jeden 1. Mi 10-22 Uhr

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Aus dem Ressort