Tokio Hotel vor 1500 Fans in Köln Nach dem Monsun

KÖLN · Die Beats pumpen bis tief zum Anschlag. Der Boden vibriert. Geometrische Figuren zeichnen sich auf dem Vorhang aus durchsichtiger Gaze ab.

 Futuristisch erblondet: Bill Kaulitz mit Tokio Hotel in der Halle Tor 2 in Köln.

Futuristisch erblondet: Bill Kaulitz mit Tokio Hotel in der Halle Tor 2 in Köln.

Foto: Brill

Bunte Laserlicht-Projektionen, die sich nach vorne in den Raum hinein zu bewegen scheinen. Das hat fast schon 3D-Qualität. Das ist ganz großes Kino. Denn mit Kinkerlitzchen - so macht das sein Auftritt im bodenlangen Goldumhang, mit dunkler Sonnenbrille und bekrönt wie weiland Freddie Mercury deutlich - mag sich Bill Kaulitz, inzwischen bar seiner schwarzen Manga-Mähne, kurzhaarig, erblondet und 25 Jahre alt, gar nicht erst abgeben.

Als Kaulitz und sein Zwillingsbruder Tom zusammen mit Gustav Schäfer und Georg Listing "Durch den Monsun" gingen, schrieb man das Jahr 2005. Damals waren die (hauptsächlich weiblichen) Fans von Tokio Hotel im Durchschnitt zwölf. 2015, zehn Jahre später, müssten sie Anfang 20 sein. Umso erstaunter ist man angesichts des Publikums, das sich Freitagabend in der Halle Tor 2 am Girlitzweg im Kölner Stadtteil Müngersdorf eingefunden hat. Im komplett ausverkauften ehemaligen Fabrikgebäude tummeln sich Menschen von 15 bis 55, darunter erstaunlich viele männliche Wesen. Und die wirken nicht allesamt nur mitgebracht. Bereits das dritte Album "Humanoid" (2009) wurde sowohl in einer deutschen als auch einer englischen Fassung veröffentlicht. Mit "Kings of Suburbia" - 2014 komplett in englischer Sprache erschienen - hat sich das Quartett aus Magdeburg neu erfunden. 1500 Fans finden das toll.

Nach der Flucht nach Los Angeles - wohin die Kaulitz-Brüder 2010 gezogen waren, weil ihnen daheim in Deutschland Publicity und Stalker die Luft zum Atmen nahmen - wurde es ruhig um die Wunderband, deren Mitglieder am Anfang selbst kaum der Pubertät entwachsen waren. Aus Kindern werden Leute. 90 Minuten lang wollen sie das auch zeigen. Der Löwenanteil des Abends ist stark elektronisch verortet, was aber gleichzeitig die Älteren im Publikum an Sachen erinnert, die Billy Idol schon Anfang der 1980er im Besteckkasten hatte. Zu schrillen Beifallsschreien wird die Halle zum Dancefloor, hier geht Party ab. Tokio Hotel spielen sämtliche Stücke des letzten Albums - das muss wohl so sein. Mit "Darkside of the Sun", "Noise", "Automatic" und "Screamin'" sind aber immerhin auch vier von "Humanoid" vertreten.

Dazwischen taucht Frontmann Bill gelegentlich ab, um sich in neue Kostüme zu werfen. Die sind mal futuristisch anzusehen und leuchten im Dunkeln, mal erinnern sie mit einem weißen Hemd mit weiten Ärmeln zur engen schwarzen Hose mit extrabreitem Nietengürtel und vielen Goldkettchen an den Look der "New Romantics". Die rot-schwarz gestreifte Plüschjacke trägt er gottlob nicht allzu lange. Immerhin weist er auch auf die Verdienste seiner Band hin. Bei einer Show, die ganz auf ihn zugeschnitten ist, ist das nicht unbedingt selbstverständlich.

Trotz all der Hightech-Inszenierungen und wummernden Sound-Duschen packt das Konzert seltsamerweise dann am meisten, wenn mit "Invaded", "Run, Run, Run" und "Rette mich" ein langsames, fast schon lyrisches Set an die Reihe kommt. "Rette mich", aus 1500 Kehlen geschmettert, wird zur Hymne - und nur noch vom zweiten deutschsprachigen Stück des Abends getoppt. Bei "Durch den Monsun" sind plötzlich alle im Publikum wieder Zwölf. Ganz egal, wie alt sie damals, 2005, tatsächlich waren.

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