Ausstellung "Boro - Stoffe des Lebens" Ein blaues Wunder aus Lumpen

KÖLN · Gespenstisch hängen sie da an Bambusstangen im Dämmerlicht: indigoblaue Schlafkimonos und Arbeitsjacken, fast so, als hätten sich ihre Träger im Spuk davongemacht.

Die vielfach kunstvoll geflickten Exponate gehören zur faszinierenden Ausstellung "Boro - Stoffe des Lebens" im Kölner Museum für Ostasiatische Kunst (MOK).

Boro ist japanisch und heißt "zerfetzt", was diese Kleidungsstücke, Tragetücher sowie Futondecken zweifellos sind. Doch sie wurden so delikat repariert, verziert und aus Stoffresten montiert, als wär's aktuelle Patchwork-Mode eines europäischen Designers. Tatsächlich aber handelt es sich bei den rund 50 Exponaten um Armeleutekleidung, die zwischen 1850 und 1950 in Japan entstand.

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dort Baumwolle versponnen, wobei die Bauern diese zwar anbauen und verarbeiten "durften", doch die revolutionären Stoffe aus dem weichen, wärmenden Material waren der Oberschicht vorbehalten. Aus den Resten und Lumpen freilich nähten und stickten die Bauern meist abends nach harter Feldarbeit neue Jacken, Hosen und Kittel. Gefärbt wurde vor allem mit Indigo.

Das MOK zeigt die rein funktional gedachten, aber höchst raffiniert wirkenden Stücke in Zusammenarbeit mit dem französischen Kulturzentrum Domaine de Boisbuchet, dem Textilien gehören. Kurator Mathias Schwartz-Clauss hat sein Lieblingsstück in der Schau: eine dutzendfach geflickte Arbeitsjacke, deren zwischen dunkelblau, türkis und zartrosa schimmerndes Farbenspiel ihn durchaus nachvollziehbar an Claude Monets Seerosenbilder erinnert.

Rund 90 Prozent der Werke stammen aus der Sammlung des Amerikaners Stephen Szczepanek, und Schwartz-Clauss erklärt: "Die Boro-Kleidung ist nicht leicht zu finden, denn im Zuge der rasanten Industrialisierung Japans wurden diese Stoffe ihren Besitzern fast peinlich und wurden vielfach weggeworfen." Heute gelten sie als kulturgeschichtliche Preziosen.

Einerseits, so MOK-Chefin Adele Schlombs, wegen ihrer Nähe zum ökologisch korrekten Recycling, andererseits, weil sie unmittelbar an die Collagen von Künstlern wie Marcel Duchamp, Kurt Schwitters oder Joseph Beuys erinnern.

Außerdem fand Schlombs in der hauseigenen Sammlung reizvolle Vorläufer: die "Kesa", die Flickengewänder der buddhistischen Mönche. Diese Textilien sind vom Ideal der Besitzlosigkeit inspiriert. Doch weil reiche Gönner sich ein gutes Karma sichern wollten, spendeten sie den Klöstern oft kostbare, mit Goldfäden gewebte Stoffe, die dann exquisit collagiert wurden.

Schönstes Stück dieser flankierenden Exponate ist jener aus Damenkimonos zusammengesetzte Mönchsumhang (Edo-Zeit, Ende 18. bis Anfang 19. Jahrhundert), in dessen Mitte man ein hineingesticktes Teehaus mit Bambuszaun erkennt. Pracht und Purismus treffen sich in dieser Ausstellung, die gegen den makellosen Neuwert von Objekten die Hochachtung vor dem aufwändig reparierten Stück setzt. So wie in Japan eine zerbrochene, dann wieder geklebte und an den Rissen mit Goldlack versiegelte Teetasse als besonders wertvoll galt.

Doch die Schau ist nicht nur ein Plädoyer für fantasievolle Resteverwertung, sondern auch ein schön inszenierter Augenschmaus. So lässt sich jenes luftig aus Decken und Tüchern gebaute "Haus" in der Mitte des letzten Raums von allen Seiten bewundern.

Und man glaubt kaum, dass die kunstvollen Flicken meist schamhaft nach innen getragen oder nach unten gelegt wurden, weil die Armen damals die gleichmäßigere, langweiligere Oberfläche der Textilien zeigen wollten.

Bis 2. August, Di-So 11-17, jeden 1. Do 11-22 Uhr. Universitätsstraße 100 (Aachener Weiher). Museum im Internet: www.mok-koeln.com.

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