Schauspiel Köln Dschihad statt Fisternöll

Raphael Sanchez inszeniert "Stirb, bevor du stirbst".

 Der erste Akt von "Stirb bevor du stirbst" wird hinter einem Gazevorhang gespielt, der immer wieder für Projektionen genutzt wird.

Der erste Akt von "Stirb bevor du stirbst" wird hinter einem Gazevorhang gespielt, der immer wieder für Projektionen genutzt wird.

Foto: Baltzer

Verwechslungen und Missverständnisse - das sind die Treibstoffe, die die Komödie befeuern. Und das funktioniert nicht nur bei Millowitsch, sondern auch im Schauspiel Köln, allein die Inhalte sind anders: Mustafa statt Anton, Dschihad statt Fisternöll. Nach "Habe die Ehre" legt Autor Ibrahim Amir mit "Stirb, bevor du stirbst" im Depot 2 sein zweites Stück vor, eine Auftragsarbeit für das Schauspiel Köln.

Philipp (Nicolas Streit) ist verschwunden, ein Polizist (Jakob Leo Stark) vermutet, der 18-Jährige sei nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen. Seine Mutter Sabine (Birgit Walter) ist ratlos und überfordert, die demente Großmutter (Margot Gödrös) eine zusätzliche Belastung.

Zusammen mit der neuen, undurchschaubaren Nachbarin Magda (Nicola Gründel) erkundigt man sich beim Imam (Benjamin Höppner) jener Moschee, zu der Philipp offensichtlich Kontakt hatte. Dieser gibt sich zunächst zugeknöpft, bis er schließlich zugeben muss, dass er mit seinem Sohn Mustafa (Justus Maier) dieselben Probleme hat wie Sabine mit Philipp. Doch kurz bevor es ein Happy End zu geben scheint, kommt es zur Katastrophe...

Ibrahim Amir spielt mit den Klischees in unseren Köpfen und den Verbindungen, die wir meinen automatisch knüpfen zu können. Kommt eine Frau, die eine libanesische Süßspeise zubereitet, unbedingt aus dem Libanon? Auch wenn sie ein Kopftuch trägt? Sind Deutschstämmige aus der Ukraine, die Ikonen aufgestellt haben und Borschtsch kochen, assimilierter als andere, die nicht hier geboren sind? Wird ein Jugendlicher, der sich für den Islam interessiert, selbstredend ein Islamist?

Und: Darf ein Imam Moral predigen, wenn er selbst geschieden und mit der Ex-Frau heillos zerstritten ist? Hausregisseur Raphael Sanchez nimmt dieses Spiel in seiner Inszenierung auf, etwa in dem er den Gazevorhang, hinter dem der erste Akt gespielt wird, mit einer waren Bilderflut überschwemmt.

Dank Amirs guter Gagdichte ("Hannes kommt aus dem Süden - er ist Schwabe!") und Sanchez stringenter Regie hat der Abend keinen Moment lang die Chance, in Richtung betuliches Gutmenschen-Bildungstheater abzudriften. Die clever konzipierte Bühne (Dirk Thiele) hat genügend Türen für boulevardesken Slapstick, wobei Sanchez seine Akteure auch schon mal gerne durch vermeintliche Wände laufen lässt.

Und das exzellente Ensemble hat sichtlich Vergnügen an den Aktionen, an Verkleidungen (Kostüme: Sara Giancane) und Requisiten von Handtaschen bis Gummihammer. Schon bei der bejubelten Premiere am Samstag waren Tempo, Timing und Zusammenspiel (fast) perfekt, in zwei, drei Vorstellungen dürften hier 100 Prozent erreicht werden.

Natürlich könnte man das eine oder andere Holpern in der Story bemäkeln. Die Figur der Magda bleibt bis zum Schluss rätselhaft. Und die auf die Katastrophe folgende Szene ist etwas schlicht. Doch wie heißt es so schön am Theater: "Das vertanzt sich". So muss man kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich das Schauspiel Köln hier über einen veritablen Hit freuen kann. Und klugerweise hat Intendant Stefan Bachmann laut Programmheft schon für die nächsten Spielzeiten eine weitere Zusammenarbeit mit Amir verabredet.

Wieder am 15.11., 2., 8., 12. und 16.12., jeweils 20 Uhr, Depot 2, Schanzenstr. 6-20, Karten-Tel.: 0221/221 28400.

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