Oper am Dom Der Kuss nach dem Atomtest

KÖLN · Oper am Dom: Mariame Cléments versöhnt in ihrer Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" Natur und Wissenschaft

 Feuerprobe: Wahre Liebe übersteht sogar eine Atomexplosion. Szene aus der "Zauberflöte".

Feuerprobe: Wahre Liebe übersteht sogar eine Atomexplosion. Szene aus der "Zauberflöte".

Foto: Leclaire

Die Katastrophe in dieser neuen Kölner "Zauberflöte" sieht man kommen: Da knattert mit beängstigender Geschwindigkeit ein offensichtlich außer Kontrolle geratenes Flugzeug aufs Publikum zu und kracht in die Bühnenlandschaft. Die beiden kreativen Köpfe von fettFilm, die Videokünstler Momme Hinrichs und Torge Moller (die gerade in Bonn mit Verdis "Giovanna d'Arco" ihr Regiedebüt feierten), haben diesen kinoreifen Auftakt bestens hinbekommen, vor allem auch mit der Überblendung in die reale, von Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Hansen entworfene Szene, die eine verwüstete Endzeit-Landschaft zeigt.

Der Pilot, Papageno, hat die Bruchlandung freilich überlebt, haust seither im Flugzeugwrack und fängt, wo er doch schon selber nicht mehr fliegen kann, den lieben langen Tag Vögel, die er in Plastiktüten stopft. Die französische Regisseurin Mariame Clément, deren Inszenierung von Mozarts Oper erstmals 2012 in Straßburg gezeigt und seither unter anderem in Nizza und Graz nachgespielt wurde, meidet aber trotz des schlechten Welt-Zustandes eine depressive Grundstimmung. Die grasüberwucherte Optik strahlt immer noch so etwas wie Rest-Naturidylle aus.

Hier prallen Welten aufeinander: Der verirrte Tamino, der zunächst französisch spricht, begegnet nicht nur einer - wieder videogenerierten - Riesenschlange, sondern auch dem wienerisch plaudernden Papageno. Den Vogelfänger singt und spielt der junge Bariton Wolfgang Schwaiger mit warmem Humor. In Mirko Roschkowski tritt ihm ein Tamino gegenüber, dessen Tenor beeindruckend Schmelz und virile Kraft kombiniert. Die Königin der Nacht, deren Koloraturen Anna Siminska virtuos, aber ohne Schärfe singt, krabbelt aus einem Erdloch: mehr Maulwurf als sternenflammende Königin. Dazu gesellt sich Monostatos (Ralf Rachbauer mit aggressiver Attacke) als Aussätziger mit schrundiger Haut.

Der Königin ärgster Feind Sarastro, den Mika Kares mit volumenstarken und balsamischen Basstönen ausstattet, schickt seine Wissenschaftler aus, um in dieser Gegend Proben einzusammeln. Sie werden in einem altertümlich holzvertäfelten Labor hinter Glas archiviert. Hierhin hat der - symbolträchtig - blinde Sarastro Pamina verschleppt, deren Gefängnis eine hölzerne, mit Blumen und Gras ausgeschlagene Kiste ist. Eine traurige Situation, die von der Sopranistin Claudia Rohrbach nicht nur in der g-Moll-Arie anrührend wiedergegeben wird.

Der Widerstreit von Natur (Königin der Nacht) und Wissenschaft (Sarastro) spielt in Cléments Interpretation der Oper eine starke Rolle. Dabei tauscht sie die Mozart-Schikaneder'schen Freimaurer-Motive geschickt gegen Rituale aus, die sie der Welt der - hier immer schlecht gekleideten - Wissenschaftler entnimmt. Dass per Video in der Feuer- und Wasserprobe mit einer Atomexplosion und einem Tsunami erst eine menschen- und dann eine naturverursachte Katastrophe zitiert wird, passt in Cléments Konzept, das am Ende, wenn die Königin der Nacht und Sarastro in einem Kuss zueinanderfinden, beide Welten optimistisch versöhnt.

Als Ornamente dieses Ideengebäudes dienen mehr oder weniger originelle szenische Einfälle, wie die wiederholt ausgefahrene Rutsche, die Tamino und Papageno ins Labor befördert, oder der Baum, der samt Strick für den lebensmüden Papageno herabschwebt. Später springt er freilich zwecks Familienplanung mit Papagena (zauberhaft: Aoife Miskelly) buchstäblich in die Kiste.

Dirigent Will Humburg fordert vom Gürzenich-Orchester einen luftigen, transparenten Mozartklang, der ebenso heiter und melancholisch sein kann, wie er dramatisches Feuer entfacht. Allerdings stören gelegentliche manieristische Rubati. Der von Andrew Ollivant einstudierte Chor sang ebenso sicher wie die von der Dortmunder Chorakademie entsandten drei Knaben und der Rest des auf hohem Niveau agierenden Ensembles: Yitian Luanm, Marta Wryk und Katrin Wundsam als die drei Damen, John Heuzenroeder und Luke Stoker als Geharnischte/Priester und der Respekt gebietende Oliver Zwarg als Sprecher. Applaus erhielten nach der Premiere in der Oper am Dom alle.

Weitere Vorstellungen: 10., 12., 14., 17., 18., 20., 21., 22., 23., 25., und 26. Dezember. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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