Käthe Kollwitz Museum Köln "Das Auge des Arbeiters": Faszinierende Fotodokumente

KÖLN · Die alte Frau schält in der schlichten Küche Kartoffeln. Ein mittelschweres Schicksal, denkt man, doch Hans Bresler hat dem Foto (seiner Mutter) einen markanten Titel gegeben: "Kartoffeln - immer Kartoffeln zu Mittag". Das Dokument wird zur Sozialklage angespitzt.

 Albert Hennig: Arbeiter beim Stampfen von Beton oder Sand auf dem Rossplatz in Leipzig, 1930.

Albert Hennig: Arbeiter beim Stampfen von Beton oder Sand auf dem Rossplatz in Leipzig, 1930.

Foto: Kunstsammlung Zwickau

Schon ist man mitten in jener Grauzone zwischen Privatem und Politischem, die Kurator Wolfgang Hesse in der Kölner Schau "Das Auge des Arbeiters" im Käthe Kollwitz Museum erkundet. In Koproduktion mit den Kunstsammlungen Zwickau nimmt die Schau die Arbeiterfotografie um 1930 unter die Lupe.

Getreu der Brecht-Erkenntnis, dass man Menschen mit einer Wohnung genauso erschlagen könne wie mit einer Axt, werden schäbige Dachkammern und ärmlichste Notunterkünfte gezeigt. Arbeitslose zählen demoralisiert ihre Notgroschen, Kriegsinvalide betteln, Kinder spielen im Rinnstein oder schleppen Steine über den Acker.

Das Besondere: Hier blicken Proletarier auf ihre eigene Schicht, holen die Fotografie aus den bürgerlichen Stuben buchstäblich auf die Straße. Einerseits hatten Kodak & Co. im Ersten Weltkrieg erschwingliche Kameras auf den Markt geworfen, andererseits beförderte der einflussreiche KPD-Funktionär Willi Münzenberg diese Demokratisierung der Lichtbildnerei etwa mit der Zeitschrift "Der Arbeiter-Fotograf" und ihren technisch-ästhetischen Tipps.

Ihm schwebten eine Professionalisierung der Parteiarbeit und besser illustrierte Beiträge für die "Arbeiter Illustrierte Zeitung" vor. Da die KPD hierzulande stets im Schatten der Sozialdemokraten stand, trug Münzenbergs Erbe eigentlich erst in DDR-Zeiten Früchte. Weshalb die Exponate der Schau vorwiegend aus Zwickau, Bautzen, Dresden und Leipzig stammen. Zwar zeigt die Ausstellung mit Richard Peter auch einen Berufsfotografen, die meisten Bilder jedoch schossen oft sehr ambitionierte Amateure.

Der Leipziger Betonbauer Albert Hennig wird in jungen Jahren arbeitslos, bekommt eine alte Plattenkamera und experimentiert: Die Schlange vor dem Arbeitsamt zieht er perspektivisch ins Endlose, den essenden Mann in der "Suppenschmiede" rückt er mit langer Belichtungszeit und düsterer Unschärfe fast in die Nähe der darbenden Kollwitz-Figuren.

Hennig will seiner Schicht entfliehen und "Reklamemann" werden, wählt dramatische Untersicht und andere ästhetische Tricks. Tatsächlich wird er am Bauhaus angenommen, muss aber in den Wirren der Zeit immer wieder auf dem Bau arbeiten.

Sein Schaffen zeigt die Kölner Schau ebenso ausgiebig wie das von Walter Ballhause. Dessen hannoversche Armenporträts sind im Gestus deutlich pathetischer. Kein Wunder, wurde er doch durch Erich Knaufs Buch "Empörung und Gestaltung" inspiriert, das Künstlerporträts von Daumier über Zille, Liebermann bis zu Käthe Kollwitz versammelt. Er rückt den Elenden nah auf den Leib, allerdings mit seiner schamhaft verdeckten Leica.

Hier wird das Dokument einer Aussage unterworfen, ein Trend, der sich in den gestellten Demonstrationsbildern mit ihren Transparenten erst recht zeigt. Und von solchen "Realmontagen" ist es nicht mehr weit zu John Heartfields bösen Collagen mit Hitler als falschem Friedensengel.

Insgesamt eine höchst anregende, intelligent gehängte Schau. Lässt eines der Fotos in einem Schaufenster ganz beiläufig das Kollwitz- Blatt "Brot" erkennen, so sind im Souterrain korrespondierende Werke der Künstlerin zu sehen. Manche Armutsstudie, aber eben auch, so Museumschefin Hannelore Fischer, "unser Liebling": ein Arbeiter, der den Betrachter mit selbstgewisser Lässigkeit fixiert.

So sieht man hier zwei Seiten einer Medaille, in der sich die gebrochene Welt der Weimarer Republik spiegelt.

Info

Bis 12. Oktober, Di-Fr 10-18, Sa/So/Fei 11-18 Uhr. Begleitbuch, 444 S., 28 Euro. Neumarkt 18-24. www.kollwitz.de

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