Oper in Köln Choreographin Sasha Waltz und ihre Truppe: Taumel und Ekstase

KÖLN · Was bei der Uraufführung 1913 in Paris einen handfesten Skandal auslöste, gehört heute zum klassischen Kanon: Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps" ist längst salonfähig geworden.

 Zyklus von Werden und Vergehen: "Le sacre du printemps" in der Kölner Oper am Dom.

Zyklus von Werden und Vergehen: "Le sacre du printemps" in der Kölner Oper am Dom.

Foto: Bernd Uhlig

Und doch ist es immer wieder spannend, wie moderne Choreographen die anarchischen Kräfte des heidnischen Frühlingsopfers in Szene setzen.

Sasha Waltz, an zwei aufeinanderfolgenden Abenden mit ihrer Truppe zu Gast in der Kölner Oper am Dom, findet keinen wirklich neuen und originellen Zugang, sondern greift auf Bewährtes zurück: Sie zitiert Vaslav Nijinskys Bewegungssprache der gewinkelten Arme und eingedrehten Füße ebenso wie Maurice Béjarts gedrängte Menschenkreise und Pina Bauschs Optik: Die Tänzer tragen fließende Kleider in Erdtönen, die langen, offenen Haare fliegen.

Ansonsten ist Waltz' "Sacre" eine virtuos und präzise getanzte Gewaltorgie. Nur wenige Scheinwerfer durchdringen den dichten Nebel des Anfangs und erhellen die leere Bühne, auf der ein mittig platzierter Aschehaufen den Zyklus von Werden und Vergehen anzeigt.

Am Pult des Gürzenich-Orchesters kümmert sich Pietari Inkinen souverän um die rhythmische Naturgewalt und scharfen Dissonanzen der Komposition: differenziert, durchsichtig und an den entscheidenden Stellen mit dem expressionistischen Biss, der das Live-Orchester zur tragenden Säule dieser Aufführung macht. 27 Tänzer werden von der Elementarkraft der Musik durch den Raum geschleudert, klammern sich aneinander fest und werden zur nächsten Gruppe weitergewirbelt.

Im Taumel der kollektiven Ekstase kämpfen, stampfen und zucken sie, bis die Asche fliegt. Und wehe, ein Einzelner begehrt gegen die Masse auf, dann wird er gewaltsam niedergerungen oder an den Haaren zurückgeschleift. Kaum schafft es die Gemeinschaft, ihre jüngsten Mitglieder zu schützen, die von Sasha Waltz' eigenen Kindern László und Sophia Sandig getanzt werden.

Eros und Thanatos, Anziehung und Abstoßung formieren sich zu immer neuen Bildern des Schreckens, die schließlich im Solo der unglücklichen Auserwählten kulminieren: Während sich ein riesiger Dolch in Zeitlupe vom Schnürboden herabsenkt, tanzt sich das nackte Frühlingsopfer zu Tode.

Auf die archaische Energie dieser Choreographie hat das Kölner Publikum gewartet und bejubelt sie ausgiebig. Die beiden kürzeren Stücke des ersten Teils werden offensichtlich als Appetizer verstanden und bekommen nur höflichen Applaus. Zu Unrecht: "L'Après-midi d'un faune" ist eine zauberhafte Studie bukolischer Traumverlorenheit.

Der Faun erscheint nicht als Einzel-, sondern als naturhaftes Vielwesen, das sich zur impressionistischen Delikatesse des Gürzenich-Orchesters verführerisch reckt und räkelt, lockt und neckt.

Das hinreißende Liebesduett aus "Roméo und Juliette" zelebriert mit Küssen, Umarmungen, Aufeinanderzulaufen und Losreißen dagegen die Unschuld junger Liebe: Emanuela Montanari und Antonino Sutera tanzen einen Pas de deux, dessen überraschend klassizistisches Idiom doch die Handschrift der Choreographin verrät.

Alles fließt weich ineinander; Hebefiguren und Arabesken sind keine eingefrorenen Posen, sondern nur Momentaufnahmen der großen Bögen, mit denen die Körper den Raum durchschwingen. Ein Gedicht.

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