Kriegsende in Bonn Spuren des Terrors

BONN · Noch heute lassen sich in Bonn sichtbare Orte des NS-Verbrechens finden. Ein Weg führt in den Keller des Oscar-Romero-Hauses an der Heerstraße.

Ein warmer Dienstagnachmittag im April. Die Wäscheleine hängt voll mit bunten Klamotten, zwei Studentinnen sitzen auf Holzbänken in der Sonne, andere kümmern sich um Gemüsebeete und Zierpflanzen.

Die Nachbarkinder rennen mit Wasserpistolen bewaffnet durch den großen Garten. Kirschblüten und Touristenscharen wie am anderen Ende der Heerstraße? Fehlanzeige.

Mittendrin steht Lucas Ziemer und werkelt an Fahrrädern herum. Jede Woche um diese Zeit bieten er und seine Mitbewohner eine kostenlose Fahrrad-Reparatur an. Ersatzteile und Werkzeuge haben sich über Jahre zu einem richtigen Depot angesammelt. Im Keller des Oscar-Romero-Hauses.

Die Außentreppe im Garten führt hinunter in die Werkstatt. Daneben ein Partyraum, der Getränkevorrat und eine Toilette.

Dass hier einst das berüchtigte Folterzentrum der SS beheimatet war, ahnte auch der 23-Jährige zunächst nicht, als er vor knapp zwei Jahren in das bei Studenten beliebte Haus nahe der Viktoriabrücke einzog: "Ich wusste am Anfang nichts, aber wer die Zellentüren im Keller sieht, kann sich schon was dabei denken", erinnert sich Ziemer.

Mitbewohner erzählten ihm von der grausamen Historie des Hauses. "Ich finde es spannend, hier zu wohnen, wenngleich an diesem Ort krasse Sachen passiert sind", sagt der Medizinstudent und öffnet die vier noch vorhandenen Zellentüren.

Vom 1. April 1933 an diente dieses Haus, das zuvor schon jahrzehntelang Gefängnisgebäude für Kleinkriminelle war, als SS-Kaserne.

Zwischen 1933 und 1938 nutzten SS, SA und Gestapo die bereits vorhandenen Gefängniszellen im Keller für Verhöre und Folterungen - etwa an dem Kommunisten Josef Messinger aus Beuel-Limperich, der nach schweren Misshandlungen im Juli 1933 starb, als zweites Bonner Opfer des NS-Unrechts nach dem "auf der Flucht erschossenen" Otto Renois.

Messinger wurde beschuldigt, im Dezember 1930 bei einer NSDAP-Kundgebung den SA-Mann Klaus Clemens erschossen zu haben. Obwohl er in einem Prozess 1931 vom Vorwurf des Mordes freigesprochen wurde, galt er den Nazis weiterhin als Mörder. Im Februar 1933 wurde Josef Messinger wie sein Bruder Hermann und andere Kommunisten in Schutzhaft genommen.

Er kam ins Gerichtsgefängnis an der Wilhelmstraße. Mehrere Zeugenaussagen von Mithäftlingen im späteren Entnazifizierungsausschuss nach Kriegsende, die Messingers Neffe Hermann-Josef erstmals in den 1980er Jahren zur Verfügung stellte, geben ein schreckliches Bild von den Foltermethoden in der Viktoriastraße, wie dieser Abschnitt der heutigen Heerstraße damals hieß.

Demnach wurde der 26-Jährige mehrfach zu Verhören in die SS-Kaserne gebracht und in den Zellen misshandelt.

Stefan Ciupo, einige Tage vor Messingers Tod in die SS-Kaserne geschleppt, schilderte am 24. Januar 1949 im Entnazifizierungsausschuss eindrücklich die gängige Praxis, die auch Messinger durchlitten hatte: "Dort wurde ich in den Keller gebracht, wo mir meine Kleider vom Leibe gerissen wurden.

Mittels eines an einen Hydranten angeschlossenen Wasserschlauchs wurde mein nackter Körper bespritzt. Diese Tortur, die längere Zeit (20-30 Minuten) in Anspruch nahm, war nicht nur demoralisierend, sondern auch mit großen Schmerzen verbunden. Vor allem wurden die Schmerzen weitaus größer, wenn der Wasserstrahl dieses Feuerwehrschlauchs von hinten meine Hoden traf."

Hinzu kamen bei den oftmals stundenlangen Verhören mit mehreren anwesenden SS-Leuten noch andere Methoden. "Da ich keine Aussage machen wollte, wurde ich auf das Sofa geworfen und von zwei SS-Leuten mit einer Reitpeitsche verprügelt", berichtete Ciupo über seine Torturen, die exemplarisch auch für die Leiden Messingers und anderer stehen.

Bei seinen letzten Verhören im Folterkeller in der Viktoriastraße und am 11. Juli 1933 im Beueler Rathaus muss Messinger so sehr misshandelt worden sein, dass er noch in der darauffolgenden Nacht in Zelle 169 des Gerichtsgefängnisses starb. Er habe ihn stöhnen und röcheln gehört, berichtete später Jakob Sauer, ein Zellennachbar.

In der Öffentlichkeit verbreitete man das Gerücht, er habe sich das Leben genommen. "Messinger hat sich in der Zelle erhängt" und "Messinger beging im Gefängnis Selbstmord durch Erhängen" titelten die Zeitungen brav, obwohl eindeutig bewiesen war, dass er an den Folgen der Folterung gestorben war.

Er halte es für wichtig, dass der Ort dieser Verbrechen im Bewusstsein erhalten bleibe, meint Lucas Ziemer, der mit seinen Mitbewohnern manchmal auch Schulklassen durch den Keller führt. Dass das Haus seit Jahren schon so belebt ist, findet er gut: "Mit uns zieht hier nach und nach ein ganz anderes Charisma ein."

Das Romero-Haus ist jedoch nicht der einzige Ort im Bonn, der noch Spuren des NS-Terrors zeigt. Zwischen Musikerviertel und Poppelsdorfer Allee befindet sich mitten im begehrten Wohngebiet der Sitz des Bonner Arbeitsgerichts. Geschäftsführer Bernd Poll gewährt einen Rundgang durch den Gewölbekeller, wo heute nur noch Akten und Gerümpel verstauben.

Im 1875 errichteten und nach der Zerstörung beim Bombenangriff von 1944 wiederaufgebauten Haus am Kreuzbergweg 5 wurde zwischen 1938 und 1945 ebenfalls gefoltert. Zudem dienten die Gefängniszellen der hier ansässigen Bonner Außendienststelle der Kölner Gestapo auch dazu, Beschuldigte tage- oder wochenlang einzusperren.

Nach Artefakten sucht man hier jedoch vergebens, und Dokumente aus der Zeit hat weder der engagierte Poll zur Hand noch liegen sie in Archiven begraben, da die Gestapo vor dem Einmarsch der Amerikaner so gut wie alles vernichtete.

Eichhörnchen und Hasen tummeln sich zwischen dem saftigen Grün der Wiesen und den im Sonnenlicht glänzenden roten Backsteingebäuden. Der verwinkelte Park der LVR-Fachklinik für Psychiatrie am Kaiser-Karl-Ring ist eine Oase mitten im städtischen Trubel.

Doch so idyllisch, wie hier heute alles wirkt, war es im Zweiten Weltkrieg nicht. Auch in Bonn-Castell sind Täter- wie Opferspuren präsent. Darauf verweisen hier gleich zwei Orte des Gedenkens.

Am Haupteingang steht ein Stein, der den zirka 370 Patienten der damaligen Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt gewidmet ist, die zwischen 1939 und 1944 von hier aus in Tötungsanstalten abtransportiert wurden.

Allein im Juli 1941 ermordeten die Nazis bei der sogenannten T4-Aktion mehr als 150 psychisch kranke und geistig sowie körperlich behinderte Menschen aus Bonn systematisch in Gaskammern der sogenannten Heilanstalt Hadamar.

Zwischen 1942 und 1945 sind mehr als 250 Kinder aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in verschiedene "Kinderfachabteilungen" im Reich deportiert und dort mit Gift getötet worden.

Der Garten der Erinnerung am Mondorfer Bach im nördlichen Teil des Klinikparks ist ein Mahnmal für die Opfer der Euthanasie-Verbrechen. In der Mitte des Kreises, der von zwanzig Birken gebildet wird, steht eine im Jahr 2000 von der Künstlerin Valentina Pavlova errichtete weiße Stele. Eine Tafel darauf hält die Erinnerung an das Schicksal der ermordeten Kinder wach.

Solch ein in Stein gemeißeltes Gedenken sucht man am Oscar-Romero-Haus vergebens. Von außen ist kaum zu erkennen, dass das Haus mit den auffälligen Graffiti einst einen Folterkeller hatte. Sebastian Kelm will das ändern. Der SPD-Stadtverordnete stellte, angeregt durch Bürger, im vergangenen September zusammen mit Fraktionskollegen einen Antrag für eine Gedenktafel am Romero-Haus.

Die wurde noch 2014 von Bezirksvertretung und Hauptausschuss beschlossen; nun sucht Kelm wegen fehlender Haushaltsmittel nach privaten Sponsoren für die Tafel, die künftig auch von außen die Geschichte des Hauses sichtbar machen und die dort verübten Verbrechen in Erinnerung rufen soll.

Einen "Stolperstein" vor Josef Messingers Wohnhaus in Limperich gibt es seit 2003. 70 Jahre nach Kriegsende scheint es nun auch an der Zeit, am Ort der Verfolgung darauf aufmerksam zu machen. Denn bisher kennen nur wenige den Schreckensort am Ende der zur Kirschblütenzeit beliebtesten Straße der Stadt, der Heerstraße.

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