Vorfahren im Krieg Der verschollene Großvater

Der U-Boot-Navigator Friedrich Fey ist während der letzten Kriegstage mit U-722 vor Schottland gesunken. GA-Redakteur Jörg Manhold hat sich auf Spurensuche begeben. Die Geschichte einer nicht gelebten Beziehung.

Friedrich Fey hätte vielleicht ein erfülltes Leben führen können. Er starb am 27. März 1945 - nur sechs Wochen, bevor für die Deutschen der Zweite Weltkrieg endete. Da war der Stabsobersteuermann gerade einmal 33 Jahre alt.

Der Krieg war schon lange vorher aussichtslos geworden - auch der U-Boot-Krieg, den Friedrich Fey als Navigator von U-722 im Atlantik führte. Er hinterließ seine Frau Anneliese und die beiden Töchter Elke (6) und Karin (1). Sein Tod war für die junge Frau eine Tragödie. Zumal die konkreten Umstände und der genaue Ort seines Todes ungeklärt blieben. Verschollen auf dem Meeresgrund.

Die Todesurkunde enthält die prosaische Formulierung: "Im Seegebiet zwischen den Hebriden und Schottland gefallen." In der Familie wurde darüber nicht gesprochen. Zu groß war der Schmerz. Auch noch Jahrzehnte später. Und die Urkunde, das magere Dokument, blieb lange Zeit das gehütete Geheimnis seiner Witwe.

Friedrich Fey war mein Großvater. Ich selbst habe mich all die Jahre damit zufrieden gegeben, dass wohl nichts weiter über sein Schicksal herauszufinden sein würde.

Schließlich sind im Zweiten Weltkrieg 780 U-Boote der Kriegsmarine versenkt worden und 27.000 Besatzungsmitglieder gefallen. Die meisten nach Mai 1943, weil die Alliierten den deutschen Funkcode entschlüsselt hatten. Kein Einzelschicksal also.

Als nun der 70. Jahrestag näherrückte, versuchte ich mein Rechercheglück, freilich ohne allzu hohe Erwartungen. Der erste Weg mit den wenigen vorhandenen Daten führte ins Internet. Was ich dort fand, war mehr als überraschend.

Innerhalb kürzester Zeit war ich in der Lage, alle Einsatzfahrten meines Großvaters zu rekonstruieren. Ich stieß auf Mannschaftslisten, Einsatzpläne und auf das U-Boot-Archiv in Cuxhaven, das mir nach kurzem Blick in den Fundus 60 Seiten aus dem Logbuch von U-722 in Aussicht stellte.

Das U-Boot vom Typ VII-C hatte eine Besatzungsstärke von 44 Mann. Die meisten waren junge Kerle um die 20. Mein Großvater war der Älteste an Bord. Der Kapitän hieß Hans-Heinrich Reimers. U-722 war erst im Dezember 1943 in Dienst gestellt worden. Da planten die Alliierten schon für die Nachkriegszeit.

Nach einer längeren Übungseinheit stand eine Versorgungsfahrt ins französische Saint Nazaire an. Der dortige U-Boot-Stützpunkt war nach der Invasion der Normandie am D-Day am 6. Juni 1944 von den Alliierten eingekesselt worden. Die Nachschubwege über Land waren abgeschnitten.

Von dem Einsatz existiert der Bericht eines Augenzeugen. Er hieß Rudi Waiser und schrieb seine Erinnerungen 1985 in Sydney auf. Zehn Wochen war das U-Boot bis zur französischen Küste unterwegs. Währenddessen bangte Anneliese mit den Kindern in Kiel. Es ging nur langsam voran; das Seegebiet zwischen Großbritannien und Frankreich war gefährlich.

So fuhr das Boot tagsüber fast im Schritttempo, nur vom Elektromotor angetrieben. "Auf 50 Meter Tiefe schleichen wir durchs Wasser der Nordsee, eine verdammt langweilige Sache, einige versuchen mit Kartenspielen die Zeit totzuschlagen", berichtet Waiser.

Und die Langeweile spült Erinnerungen hoch: "Gerade waren wir zurück von unserer Frontausbildung und hatten in Swinemünde halt gemacht, da kam eine Gruppe von Schauspielern an Bord, es sollten Aufnahmen für einen Lehrfilm gemacht werden. Wir von der Besatzung durften als Statisten mitwirken, vielleicht konnten wir noch berühmt werden. Unter den Schauspielern befand sich auch der von der Leinwand bekannte Komiker Hans Richter (spielte den Schüler Rosen in der "Feuerzangenbowle", Anm. d. Red.). Er hatte dafür Urlaub von der Front bekommen."

Der U-Boot-Typ VII-C war das Arbeitstier der deutschen Kriegsmarine und mit einer technischen Neuerung ausgestattet. Es hatte einen Schnorchel. So konnte es mit Motorantrieb zügig voran kommen, ohne auftauchen zu müssen. Aber die neue Technik erforderte einiges Geschick.

Das dokumentierte Rudi Waiser in seinen Aufzeichnungen: "Heute sind die Herbststürme bis auf 50 Meter Tiefe zu spüren. Aber es nützt nichts, wir müssen nach oben, die Batterien brauchen Strom. Jeder der Besatzung weiß, was auf uns zukommt, der Luftdruck im Boot wird wieder rauf und runter tanzen, wenn es doch nur ein Mittel gäbe gegen die Schmerzen in den Ohren."

Aber diesmal kommt es noch schlimmer, der Heizer macht einen fatalen Fehler. "Die Maschinen sind klar zur Ladung, die Diesel werden gestartet, nach einem Augenblick fällt unser Blick auf das große Barometer in der Zentrale. Der Zeiger dort sackt tiefer und tiefer, fast ist der rote Strich der Sicherheitsgrenze bei 750 erreicht, als unser Obersteuermann Mühe hat, sich am Kartentisch aufrecht zu halten.

Wir wissen sofort, irgendetwas ist nicht in Ordnung, der Zeiger rutscht noch weiter unter den Strich. Da springt der Zentralmaat mit großen Sätzen in den Dieselraum, reißt beide Maschinen auf Stopp, um weiteren Luftverlust aus dem Boot zu verhindern. Bei einigen Matrosen setzt Nasenbluten ein, das Gehör ist fast verschwunden, wir können nicht mehr verstehen, was gesprochen wird.

Als der Maat vom Dieselraum in die Zentrale zurückkehrt, weiß er, wo der Fehler liegt. Der Heizer, verantwortlich dafür, das Frischluftventil am Schnorchelmast zu öffnen, hat dieses nicht getan, die Diesel benutzten dadurch nur die Luft aus dem Boot. Ein Versehen, das hätte tödlich ausgehen können. J

Jetzt hatte die Besatzung genug Gesprächsstoff, und der Heizer muss viele harte Worte über sich ergehen lassen." Die Versorgungsfahrt gelingt, U-722 findet den Weg durch die Seeminen nach Saint Nazaire und bringt den dort eingeschlossenen Soldaten neben Material und Nahrungsmitteln auch Postsäcke mit Briefen aus der Heimat.

Es ist nicht lang bis Weihnachten. Am 7. Dezember 1944 tritt U-722 seine Rückfahrt nach Bergen in Norwegen an. Drei Wochen dauert diese vorletzte Einsatzfahrt. Mein Großvater hatte seine Familie zuletzt Anfang des Jahres besuchen können.

Heimaturlaub, um die Taufe seiner zweiten Tochter mitzuerleben. Die ältere Tochter erinnert sich an die aufgeregten Gespräche beim Familienfest damals. Man sprach darüber, ob Friedrich sich nicht besser bewusst den Fuß breche, um nicht wieder an die Front zu müssen. Er war sich zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass er nicht mehr lebend zurückkommen würde.

Die letzte Fahrt von U-722 begann am 21. Februar 1945 im norwegischen Trondheim. Einsatzziel: die Hebriden, ein stark umkämpftes Seegebiet nordöstlich von Schottland. Das strategische Ziel: die Versorgung Großbritanniens unterbrechen.

Am 16. März versenkte das U-Boot noch den britischen Dampfer Inger Toft. Elf Tage später wird U-722 durch Wasserbomben der britischen Gleitzerstörer HMS Fitzroy, HMS Redmill und HMS Byron versenkt. Die Stelle, an der das U-Boot gesunken ist, dokumentieren die Archive mit 57°09'N 06°55'W zwischen den Hebriden und Schottland.

Seine Witwe erhielt die Todesnachricht durch einen Soldaten. Sie schloss die Tür, drehte sich zu ihrer sechsjährigen Tochter um und sagte knapp: "Der Papa ist tot." Friedrich Fey wurde postum noch mehrmals befördert.

Seine Witwe starb 1976. Sie war für den Rest ihres Lebens alleine geblieben. Bei Gewitter fing sie immer an zu zittern. Das Einzige, was ihr blieb, war sein Fernglas. Und das Schweigen.

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