Neschen an der Autobahn 3 Ein Ort wehrt sich

Neschen · Die Bewohner von Neschen an der Autobahn 3 sehen sich besonders im Fokus von gut organisierten Kriminellen und fordern Gegenmaßnahmen. Allein an einer Straße ist insgesamt 21 Mal eingebrochen worden. Immer, wenn die Polizei verstärkt Präsenz zeigt, kehrt Ruhe ein.

 Neschener machen mobil: Hans-Joachim Schmitz (r.) und die Kommunalpolitiker Jürgen Schmied (3.v.r) und Jürgen Jonas (l.) auf der von Einbrüchen besonders betroffenen Hangstraße.

Neschener machen mobil: Hans-Joachim Schmitz (r.) und die Kommunalpolitiker Jürgen Schmied (3.v.r) und Jürgen Jonas (l.) auf der von Einbrüchen besonders betroffenen Hangstraße.

Foto: Axel Vogel

Auf den ersten Blick leben Hans-Joachim Schmitz (69) und seine Frau Anneliese Held (65) in einer Region, die für „Urlaub auf dem Bauernhof“ werben könnte. Inmitten grüner Hügel liegt ihr Wohnort Neschen, der zu Neustadt/Wied in der Verbandsgemeinde Asbach gehört. Gepflegte Wohnhäuser prägen das Bild des Dorfes, das zusammen mit dem Nachbarort Scharenberg rund 360 Einwohner zählt.

Doch in dieser Idylle fühlt sich das Ehepaar Schmitz-Held wie viele Neschener seit geraumer Zeit nicht mehr sicher: Die Angst vor Einbrechern geht um und trübt die Lebensqualität. Hans-Joachim Schmitz kann die Besorgnis mit Zahlen belegen. In den vergangenen 15 Jahren, so ermittelte er Ende Dezember in einer Umfrage, hat es allein auf einer Strecke von 400 Metern im Neschener Oberdorf 36 Einbrüche gegeben.

Schwerpunkte: Die Rasthausstraße, die etwa 50 Meter unterhalb der Raststätte parallel zur A 3 verläuft und dann zur Hangstraße wird, ferner die Blumenstraße und die Straße „Auf dem Platz“. „In elf von 17 Anwesen an der Rastplatz-/Hangstraße ist 21 Mal eingebrochen worden“, sagt Schmitz. Was ihn und seine Nachbarn besonders umtreibt: Allein im Dezember 2015 schlugen Einbrecher gleich acht Mal in Neschen und Scharenberg zu.

Im Verhältnis zur Größe der beiden Orte dürfte diese Zahl ihresgleichen suchen, glaubt Schmitz, der sich als Sprecher einer Bürgerinitiative (BI) an die Öffentlichkeit gewandt hat. Eine von ihm erstellte Ortskarte, auf der alle Tatorte markiert sind, lässt staunen: Die Karte ist übersät mit roten Stecknadelköpfen.

Warum ausgerechnet ihr idyllisches Örtchen ein so beliebtes Ziel ist? Die Betroffenen erklären es sich so: Neschen liegt unmittelbar an der A 3, einer der meistfrequentierten Autobahnen der Republik. Hinzu kommt: Die Ausfahrt Neustadt-Wied markiert praktisch den Ortsrand. Aus Sicht von Polizeiexperten ist dies ideal für Einbrecher. Doch damit nicht genug: Unmittelbar oberhalb des Ortes liegt die Autobahn-Raststätte Fernthal, von der aus man teils freie Sicht auf den Ort hat. „Gelegenheit macht Diebe“, beschreibt Schmitz die Situation. Von daher versucht die Bürgerinitiative alles, um die Sicherheitslage im Ort zu verbessern.

Diebe verschafften sich vier Mal gewaltsam Zugang

Wenn man durch das Neschener Oberdorf geht, braucht man nicht lange nach Einbruchsopfern zu suchen. Rund um die Rasthaus-/Hangstraße, an der auch Familie Schmitz wohnt, wurde fast jeder Anlieger mindestens einmal heimgesucht. Bei dem Vorbesitzer des Hauses von Peter Vianden (61), einem Bonner, der vor anderthalb Jahren zugezogen ist, hatten sich unbekannte Diebe gleich vier Mal gewaltsam Zutritt verschafft. Zudem entwendeten die Täter das Auto aus der Garage. Drei Mal wurde auch die alleinstehende 78 Jahre alte Marlene Wirtgen Einbruchsopfer.

Wer wissen will, wie alles losging, sollte sich mit Marga Stümper unterhalten. Die 63-jährige Polizeiangestellte ist im Dorf eine Art Urgestein. Sie sagt: „Einbrüche hat es auch in den 70er und 80er Jahren im Ort gegeben, allerdings nicht in dieser Häufigkeit und Brutalität.“ Für Stümper begann das Übel, als die Autobahnpolizei 2012 ihre Wache auf der Raststätte Fernthal schließen musste. Wegrationalisiert, im Zuge der Sparmaßnahmen.

„Zwischen Schließung und Einbruchszahlen besteht ein Zusammenhang“, betont die Frau, die ein Jahr nach dem Aus der Wache erstmals Opfer von Einbrechern wurde: Um die Mittagszeit kamen die Täter damals im Dezember, „ich war gerade einkaufen“. Zwei Jahre später, am 6. Oktober 2015, der nächste Einbruch, dieses Mal nachmittags. Stümper war arbeiten, ihr Mann bei der Mutter im Altenheim. Durch den Hobbyraum stiegen die Diebe ein „und durchsuchten jeden Raum und jede Schublade“. Gestohlen haben sie jenen Schmuck, „den ich mir nach dem ersten Einbruch wieder neu gekauft hatte“, berichtet Stümper. Der materielle Schaden betrug rund 12.000 Euro.

Jede Menge Schmuck hatten Diebe neben Uhren und Teppichen Mitte der 90er Jahre aus dem Haus des Ehepaars Schmitz-Held geschafft. „Als Konsequenz nehme ich nun immer all meinen Schmuck mit, wenn ich das Haus verlasse“, betont Anneliese Held. Gleichwohl bleibe bei ihr ein ausgeprägtes Unsicherheitsgefühl zurück.

Wie bei Martina Eulenbach (49). Sie war ein Opfer jener Einbruchserie am 26. Dezember, bei der die Täter gleich sechs Mal in Neschen und Scharenberg zuschlugen. Als die Täter kamen, waren sie und ihr Mann nur 50 Meter entfernt, „Kaffee trinken bei der Schwiegermutter“. Die Diebe nahmen alles von Wert mit, Motorradzubehör ebenso wie Eheringe.

Trotzdem kam das planvolle Vorgehen der Täter nicht überraschend für Eulenbach. Sie sieht ihr Familienleben in Sichtweite der Raststätte der A 3 schon lange wie auf einem Präsentierteller: „Wir sind schon beim Essen mit dem Fernglas beobachtet worden.“

Auch Susanne Bungarten (36) kennt die Auswirkungen der Nähe zur Raststätte, wenn ihre Erfahrungen auch besonderer Art sind: Ihr Grundstück, das nur ein paar Schritte vom Rastplatz entfernt liegt, wird regelmäßig von ungebetenen Besuchern aufgesucht. Vor allem Fernfahrer, die ihre Notdurft im Garten der Bungartens verrichten wollten, seien ein Ärgernis.

Hunde wurden in das Wohnzimmer eingesperrt

Ob auch jene Täter von der Raststätte Fernthal kamen, die am 22. Dezember 2015 die Abwesenheit der Familie zu einem Einbruch nutzten, weiß Susanne Bungarten nicht. Auf alle Fälle gingen die Diebe überaus dreist zu Werke: Als sie von einem Besuch bei den Schwiegereltern zurückkehrten, fand sie ihr Haus ausgeräumt vor, „und die beiden Hunde, die im Haus Wache halten sollen, eingesperrt im Wohnzimmer“. Was die Täter angeht, gibt es auch andere Spekulationen: So hatten die Neschener im Vorfeld der Einbruchsserie auffällig viele Schrottsammler beobachtet. Ebenso berichten sie von Personen, die als Touristen getarnt unterwegs waren.

Dabei glauben die Einbruchsopfer nicht, dass sie sich vorwerfen lassen müssen, zu wenig für die Eigensicherung getan zu haben. Hans-Joachim Schmitz hat in der Umfrage ermittelt, dass die Ortsbewohner zusammen rund 60 000 Euro in Vorrichtungen wie Rollläden und mehrfach verriegelte Haustüren investiert haben. Auch der ehemalige Bonner Peter Vianden hat massiv aufgerüstet, nachdem der leidgeplagte Vorbesitzer seines Hauses bereits Sicherheitsglas eingebaut hatte. Vianden ließ zudem drei Alarmsirenen, Alarmanlagen mit einer Telefonaufschaltung, installiere und schaffte sich einen zweiten Hund an, Labrador Sharky. Eine Mauer ums Grundstück soll folgen. Nun fühlt sich Vianden „fast schon wie in einem Gefängnis“.

Ob des bereits geleisteten hohen Eigenaufwands hatte die Einbruchserie im Winter das Fass in Neschen zum Überlaufen gebracht – und zur Gründung der Bürgerinitiative geführt: Die Bewohner fordern nun staatlichen Schutz ein. Gehör fanden sie im rheinland-pfälzischen Landtagswahlkampf, auch in den Medien gab es reichlich Widerhall. Dabei bescheinigt Schmitz der Polizei, dass sie sich zu kümmern versuche, es aber schwer habe. Zum einen wegen des stark reduzierten Personals, zum anderen aus geografischen Gründen: Die zuständige Inspektion Straßenhaus liegt etwa 15 Minuten Autofahrt entfernt. Einbrecher dürften längst über alle Berge sein, bevor die Beamten am Tatort eintreffen.

Nachdem im Januar dieses Jahres unbekannte Täter das Anwesen eines Autohändlers aus Bonn in Neschen ausgeräumt hatten und die Polizei seitdem verstärkt Präsenz zeigte, „herrscht Ruhe im Ort“, stellt BI-Sprecher Schmitz fest. Es frage sich nur wie lange.

Daher will die Initiative den Ort für die nächste von Einbrechern bevorzugte dunkle Jahreszeit wappnen: Eine stabile Abtrennwand entlang dem Parkplatzgelände an der A 3 soll her. „Damit hätten wir gleich drei große Probleme weniger“, glaubt Schmitz. Potenziellen Einbrechern wären Ausspähpunkt und Fluchtweg entzogen, zudem gebe es weniger Lärm und Müll.

Unterstützung bekommen die Bürger von der Kommunalpolitik. So verweisen CDU-Fraktionschef Jürgen Schmied und sein SPD-Kollege Jürgen Jonas von der Verbandsgemeinde Neustadt auf die gemeinsam verabschiedete Resolution, in der „unstreitig“ die Autobahnraststätte Fernthal „als Wurzel allen Übels“ bezeichnet wird. Schmitz und seine Mitstreiter wollen auf jeden Fall den Druck aufrechterhalten, weil sie sagen: Die Nähe zur A 3 sei einerseits ein Segen für die Verbandsgemeinde Asbach, es gebe aber auch Schattenseiten, und „die bekommen vor allem die Neschener und Scharenberger zu spüren“.

Für Martina Eulenbach ist die Situation so beklemmend, „dass ich das Haus verkaufen und wegziehen würde, wenn ich meine Preisvorstellungen realisieren könnte“. Nur fragt sie sich: „Wer kauft denn noch ein Haus in einem Ort, der so in den Schlagzeilen steht?“

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