Vortrag beim Geschichtsverein Als die Stasi in Unkel operierte

UNKEL · Karl Hafen berichtet auf Einladung des Geschichtsvereins darüber, wie er als Menschenrechtsaktivist ins Fadenkreuz der DDR-Spitzel geriet. "Die Seilschaften sind immer noch zu spüren."

 Karl Hafen (links) berichtet über die Stasi-Aktivitäten in Unkel, hier im Gespräch mit dem Veranstalter, dem Vorsitzenden des Geschichtsvereins Piet Bovy.

Karl Hafen (links) berichtet über die Stasi-Aktivitäten in Unkel, hier im Gespräch mit dem Veranstalter, dem Vorsitzenden des Geschichtsvereins Piet Bovy.

Foto: Frank Homann

Personalien der Feindperson - Name: Hafen, Vorname: Karl." Und weiter geht's im Stasi-Deutsch: "Genannter stammt aus einem Dorf in der Nähe von Koblenz." Das Dorf heißt Unkel. Die "Feindperson" berichtete jetzt dort auf Einladung des Geschichtsvereins unter dem Titel "Die Stasi war auch aktiv - in Unkel!" über ihre Erlebnisse während dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte.

Etliche Schulkameraden aus der Grundschule und vom Siebengebirgsgymnasium in Bad Honnef waren gekommen. Auch Hafens Mutter Hildegard hörte erstmals, wie Honeckers Schnüffler auch im idyllischen Weinort operierten und ausgerechnet ihr Sohn Zielscheibe war. 19.000 Seiten wurden Karl Hafen vorgelegt, als er vor zwei Jahren Einsicht in seine Stasi-Akte nahm. "Über 100 Ordner wurden bisher über die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGfM) gefunden." Hafen ist Mitarbeiter seit 1978 und geschäftsführender Vorsitzender der IGfM seit 1995.

Während des Kalten Krieges kümmerte sich die Organisation vor allem um Menschenrechtsverletzungen in der DDR und den anderen sozialistischen Ostblockstaaten. Und so gelangte auch Karl Hafen ins Fadenkreuz der Staatssicherheit. In seiner Akte heißt es: "Hafen betreibt seine Feindtätigkeit gegen die DDR und die mit ihr verbündeten sozialistischen Staaten in Form der Inspirierung, Organisierung und Mitarbeit beziehungsweise Teilnahme an Kundgebungen, Demonstrationen und anderen Hetzveranstaltungen der Feindorganisation ,IGfM? in der BRD." Akribisch sind in den Akten die Aktivitäten aufgeführt. So wurde Hafen etwa im November 1981 in Bonn beobachtet, wo er sich "zur Störung des Staatsbesuches des Genossen Breschnew in der BRD" aufhielt.

Kennt er seine Schatten? "Ich wurde von drei Spitzeln betreut, darunter ein IGfM-Mitglied in Frankfurt. Die dritte Person haben wir noch nicht entdeckt, ihr Klarname ist noch nicht bekannt." Den Akten konnte Karl Hafen entnehmen, dass sowohl sein Umfeld in seinem Wohnort Frankfurt, wo auch die Menschenrechts-Gesellschaft sitzt, ausgeforscht wurde, die Stasi-Spitzel aber genauso in seinem Heimatort Unkel wühlten.

Lebenslauf, frühere und aktuelle Kontakte, Verwandtschaft, Nachbarschaft, alles kam auf den Prüfstein. "Der Rheinbüchel wurde durchleuchtet." So fand der bespitzelte IGfM-Mann in seinen Akten quasi ein Einwohnerregister des halben oberen Rheinbüchels von Unkel. Kleine Stolpersteine für die Spitzel: Die Ruf- und tatsächlichen Vornamen der Tanten musste die Stasi erst abklären. Und: Hafens Vater hieß auch Karl, was für etwas Verwirrung sorgte.

Hafen berichtete, wie sich die Menschenrechtsorganisation um Schicksale politisch Verfolgter im anderen Teil Deutschlands kümmerte. "Wir haben nicht pauschal geholfen, wir haben Schicksale betreut." 22.000 Einzelfallakten zwischen 1972 und 1989 kamen so zusammen. Wenn viele gleiche Schicksale auftraten, wurden auch Dokumentationen angefertigt und in die Hände der Politiker gegeben. Dabei ging es auch um den Freikauf von Gefangenen.

Hafen: "Das Schlimmste war die Wegnahme von Kindern, die Zwangsadoption. Wir sind solchen Fällen nachgegangen." So kümmerte sich die Gesellschaft auch um den berühmten Fall von Jutta Gallus, der unter dem Titel "Die Frau vom Checkpoint Charly" verfilmt wurde. Als Erich Honecker 1987 seinen Bonn-Besuch plante, wendeten sich in sechs Wochen 2700 Leute, die ausreisen wollten, an die Gesellschaft. Die IGfM fasste die Petitionen zusammen und überreichte sie dem ständigen Vertreter der DDR. Hafen: "Für einige war das erfolgreich."

Wie die Stasi gegen die IGfM vorging, machte die "Konzeption zur operativen Bearbeitung der Feindorganisation" deutlich. Zimperlich waren die "Kundschafter des Friedens" überhaupt nicht. Das reichte von Verleumdungen über den Einsatz gestohlenen Briefpapiers, das verfälscht wurde. Und plötzlich hatten getürkte Schreiben des IGfM eine Bordell-Adresse. "Das waren keine Indianerspielchen." Das sei bis hin zum Mord gegangen.

Und Karl Hafen kann sich immer noch aufregen: Dass die Stasi-Leute heute eine Pension bekommen, als wären sie auf der anderen Seite beschäftigt gewesen, ihre Opfer jedoch meist geringe Renten haben, ärgert ihn noch immer. "Die Seilschaften sind immer noch zu spüren."

Kurz gefragt

Karl Hafen (61) setzt sich seit 1978 für die Menschenrechte ein. Bis zum Fall der Mauer half der gebürtige Unkeler politischen Gefangenen und verfolgten Regime-Gegnern im Ostblock. Mit dem "Staatsfeind der DDR" sprach Roswitha Oschmann.

Hat jemand gelitten in Unkel wegen Ihrer Tätigkeit?

Karl Hafen: Nein.

Fühlten Sie sich in der Zeit bedroht?

Hafen: Ja. Es war ein unwissendes Gefühl. Als Demos gegen die IGfM liefen, hatten wir auch Angst, Prügel zu bekommen.

Was führte zu Ihrem Engagement für die Menschenrechtsgesellschaft?

Hafen: Es war Zufall. 1978 machte ich gerade den Abschluss meiner Ausbildung als Sozialarbeiter in Koblenz. Da beteiligte ich mich an der Demonstration gegen Breschnew in Bonn. Die Gesellschaft für Menschenrechte hatte anlässlich seines Besuches im Mai 1978 dazu aufgerufen. Ich wollte etwas gegen diesen kommunistischen Wahnsinn tun. Die Initialzündung war der Einmarsch in Prag am 21. August 1968. Damals beteiligte ich mich mit anderen Sibi-Schülern an einer Demo.

Wie sieht es mit der Aufarbeitung der Stasi-Akten der IGfM aus?

Hafen: Das Stasiunterlagengesetz von 1992 sieht vor, dass nur personenbezogene Akten eingesehen werden können. Ich habe gefleht, uns unsere Akten zur Verfügung zu stellen. Aber ein Verein kann seine Akten nicht bekommen, Einsichtnahme nur als Forschungsprojekt.

Welchen Aufgaben haben Sie sich seit der Wende verschrieben?

Hafen: Heute kümmern wir uns vor allem um das Recht auf Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit.

Was bedeutet Unkel für Sie heute?

Hafen: Wenn ich in vier Jahren in Rente gehe, will ich mit meiner Frau nach Unkel zurückkehren, in meine Heimat, zu meinen Freunden. Frankfurt ist einfach zu schnelllebig.

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