Syrerin Samia Hasso aus Sinzig Vom Flüchtling zur Schulsprecherin

SINZIG · "Mama, ich will Apothekerin werden!" - Da war sich Samia Hasso schon als kleines Mädchen sicher. Wenn sie sich jetzt daran erinnert, ist die 16-Jährige ihrem Ziel näher als vielleicht je in ihrer syrischen Heimat.

 "Gesetze gibt es in Syrien jedenfalls keine", urteilt Samia Hasso (2.v.r.). Zusammen mit ihrer Mutter Alia (3.v.l.), den zwei Schwestern (hier eine Cousine) und zwei Brüdern ist die ehrgeizige 16-Jährige mittlerweile in einem geordneten Leben in Deutschland angekommen. Ihre Zukunft hat sie schon genau geplant.

"Gesetze gibt es in Syrien jedenfalls keine", urteilt Samia Hasso (2.v.r.). Zusammen mit ihrer Mutter Alia (3.v.l.), den zwei Schwestern (hier eine Cousine) und zwei Brüdern ist die ehrgeizige 16-Jährige mittlerweile in einem geordneten Leben in Deutschland angekommen. Ihre Zukunft hat sie schon genau geplant.

Foto: Lieberenz

Vor drei Jahren vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen, ist es eine beeindruckende Erfolgs- und Glücksgeschichte, die Samia zusammen mit ihrer Mutter an ihrem Sinziger Esstisch in fließendem Deutsch erzählt. Nach einer dramatischen Flucht über griechische Inseln haben sie es ihrem neuen Heimatland, vielen engagierten Unterstützern und ihrem eigenen Ehrgeiz zu verdanken, dass sie sich heute sicher und wohl fühlen.

Familie Hasso lebte im Umkreis von Aleppo seit Generationen vom Olivenanbau - 5000 Bäume bewirtschafteten sie -, auch Trauben und Aprikosen bauten sie an. Als die Terrorgruppe Islamischer Staat sie bedrohte, entschlossen sie sich zu einem ersten Fluchtversuch - und scheiterten an der syrischen Polizei. Der Vater wanderte ins Gefängnis, nur die Mutter durfte ihren Pass behalten. Nur mit dem Sohn kam sie schließlich nach Deutschland. Später folgten Samia und ihre zwei jüngeren Schwestern mit dem inzwischen freigelassenen Vater.

"Das war so schlimm", erinnert sie sich an die gefährliche Reise und beispielsweise an das Minenfeld, das sie durchqueren mussten. In Istanbul knöpften ihnen Schleuser 6500 Euro für die Schlauchbootfahrt nach Griechenland ab. Dass der nächtliche Weg über Wasser und durch Wälder angeblich nur eine halbe Stunde dauern würde, war völlig untertrieben. Mehrere Stunden lang irrte die Familie im Regen umher, bevor sie in Sicherheit war.

Der Weg in Deutschland führte über die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Trier nach Adenau und Sinzig, wo der Vater mit den Töchtern etwa ein Jahr auf den Asylbescheid wartete. Er arbeitet jetzt als Kellner.

In die Schule konnte Samia fast sofort gehen, endlich, nach einem Jahr Pause wegen des Krieges. Dabei fühlte sich die damals 13-Jährige zuerst unwohl und allein gelassen: Dass sie die Sprache schlecht sprach, nahmen einige Mitschüler zum Anlass, sie zu hänseln. "Das habe ich einfach ignoriert." Es scheint für sie eher Ansporn gewesen zu sein: Zu Hause verschlang Samia Kinderbücher, die sie von einer türkischen Nachbarin bekommen hatte. Einen Sprachkurs hat sie nie besucht: Samia hat sich Deutsch ganz allein beigebracht.

Ihre Mutter hat allerdings Hilfe. Während die Tochter von der Flucht und ihrem neuen Leben berichtet, löst ihre Mutter gelegentlich eine Aufgabe in ihrem Deutschbuch. Ihr scheint es unangenehm zu sein, dass sie in ihrem heimischen Dorf nur sieben Jahre zur Schule gehen konnte. Jetzt arbeitet Alia Hasso am Sprachlevel "A2" und wünscht sich, irgendwann einmal mit gehörlosen Kindern arbeiten zu können. Ihre beiden Söhne sind hörgeschädigt und die 34-Jährige ist stark beeindruckt, wie gut man sich in Deutschland um sie kümmert.

Nach dem Wechsel auf die Sinziger Barbarossaschule machte Samia ihre Lehrer darauf aufmerksam, dass die neuen Flüchtlingskinder dringend Sprachunterricht brauchten. Etwa zehn Prozent der Barbarossaschüler kämen aus Flüchtlingsfamilien, so die 16-Jährige. Auf ihre Initiative geht es somit zurück, dass die Schule jedem bedürftigen Kind nach ihren Angaben mittlerweile sechs bis sieben Stunden in der Woche Sprachunterricht anbietet. Warum sie das so genau weiß? "Ich bin doch die Schulsprecherin." Ihre Lehrer waren es, die Samia dazu brachten, für dieses Amt zu kandidieren. Nach kurzem Zögern hatte sie ihre Wahlkampfthemen festgelegt: die Pausenordnung und die Flüchtlingshilfe (regelmäßig organisiert sie zum Beispiel Sachspenden und dolmetscht). Samia konnte sich gegen ihre zwei Mitbewerberinnen durchsetzen.

Die Zehntklässlerin ist sich ihrer Fähigkeiten bewusst: "Ich habe schnell Deutsch gelernt und habe gute Noten." Einzig Englisch bereitet ihr noch etwas Probleme, da es in Syrien dieses Lernfach nicht gab.

Einige Lehrer haben ihr auch schon vorgeschlagen, aufs Gymnasium zu wechseln. Da ist Samia lieber vorsichtig. Sie hat schon zwei Praktika in Apotheken absolviert und ist sich sicher, dass sie nach ihrem Mittlere-Reife-Abschluss im nächsten Jahr eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin machen möchte. Die Bewerbung ist schon geschrieben. Sollte sie in ein paar Jahren immer noch "richtige" Apothekerin nach erforderlichem Pharmaziestudium werden wollen, könne sie das Abitur immer noch an einer Abendschule nachholen, so die 16-Jährige. Samias Prioritäten sind zunächst sehr klar: "Für mich ist einfach nur Schule wichtig."

Nicht nur, dass in Deutschland alle Kinder über die fünfte Klasse hinaus zur Schule gehen, und dass das soziale Sicherungsnetz Schwache unterstützt, hat auf Samia besonderen Eindruck gemacht. Vielmehr auch, dass Frauen hier Rechte genießen, die sie in ihrer syrischen Heimat nicht haben.

Für die beiden Frauen ist klar, dass sie auf jeden Fall in Deutschland bleiben wollen: "Ich finde es hier viel besser", erklärt die junge Syrerin.

Wenn die Familie die Nachrichten im Fernsehen verfolgt, die Flüchtlingsströme und das Elend ihrer Landsleute in der Heimat sieht, fühlt sie mit ihnen: "Die Leute müssen aus Syrien raus, sonst werden sie getötet. Wer nach Deutschland kommt, merkt schnell: Hier ist alles gut."

Das neue Leben der Frauen

Als Samia in die deutsche Schule kam, war sie überrascht, dass es keine Schuluniform gibt. Aber die Freiheit, Schminke und Nagellack in der Schule tragen zu dürfen, findet sie toll. Überhaupt sind es die Rechte der Frauen, die Samia und ihre Mutter in Deutschland am stärksten zu begeistern scheinen. "In Syrien arbeiten die Frauen meistens nicht und vor den Männern dürfen sie nichts sagen".

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