Flohmarkt in Gedenken "Ein Stück von Annemarie"

SINZIG · So einen Haus- und Hofflohmarkt wie in der ehemaligen "Rheinschenke" hatten viele noch nie gesehen.

 Ein Schätzchen: Beim Flohmarkt findet auch der alte Mercedes der Wirtin einen neuen Besitzer.

Ein Schätzchen: Beim Flohmarkt findet auch der alte Mercedes der Wirtin einen neuen Besitzer.

Foto: Martin Gausmann

Nicht nur, dass es sich um den Nachlass einer beliebten Wirtin handelte und unter anderem eine gut gepflegte Theke aus den 60er Jahren samt intakter Zapfanlage zu haben war, die samt Barhockern auch für 300 Euro von einem Sinziger erstanden wurde.

Ungläubig lavierten sich die Besucher auch durch die Etagen und bis in Garten und Garage am Sinziger Privatweg, und sie staunten, dass wirklich kein Winkel frei war. Geschirr, Gläser und Dekoartikel vom Kunstblumenstrauß bis zur Kuckucksuhr türmten sich auf Tischen und Stühlen und zierten die Wände. Puppen bevölkerten die Sofagarnitur, Kleidung stapelte sich in übervollen Schränken und auf den Betten, Bücher standen mindestens in Zweierreihen in Regalen vom Keller bis zum Dachboden. Vom Weinregal bis zur Sonnenbank, von Schmuckgirlanden bis zu noch eingeschweißten Trauer- und Grußkarten, von Schallplatten und Musikanlagen bis zum Küchenbüfettschrank war alles zu haben. Was wegging, wurde gleich durch "Nachschub" aus dem Keller ersetzt. Den Überblick zu behalten, war zwecklos. Ebenso wie der Versuch, nicht über eines der Hunderte von Schuhpaaren auf dem Boden im Wohnzimmer zu stolpern, die oftmals noch ungetragen und sogar originalverpackt waren.

Manchen interessierten die Privaträume von Gastwirtin Anne-marie Kreier, die Ende vergangenen Jahres kinderlos verstorben war und ihr gesamtes Erbe je zur Hälfte dem Verein Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, Kreisverband Ahrweiler, und dem Verein Tier- und Naturfreunde "Schwanenteich" vermacht hatte. Aber die meisten kamen, um Abschied zu nehmen von "Annemie" oder "Mary", wie die Wirtin auch genannt wurde, und von der Gaststätte, indem sie in Erinnerungen schwelgten und sich ein Andenken mitnahmen.

"Ihr Bier war das beste. Sie hat sich noch acht Minuten Zeit genommen, um es zu zapfen", berichtete ein Ehepaar. Und, dass auch ihr längst erwachsener Sohn sein erstes Bier dort getrunken habe. Kinder hätten an der Rheinschenke immer noch lose Süßigkeiten für Centbeträge kaufen können, und meist noch eine Gratisleckerei oder zu Ostern auch mal ein buntes Ei obendrauf gekriegt, erzählten andere Besucher und waren schnell miteinander im Gespräch über "die gute Annemie". Besonders für Nachbarn, Stammgäste und Freunde war der letzte Besuch in dem Haus mit Gaststätte ein emotionaler Moment. Unten suchte ein ehemaliger Kneipengänger die schon abtransportierte Musikbox, nachdem im Garten innerhalb von fünf Minuten der Mercedes Benz 280 E der Wirtin, Baujahr 1975, ersteigert worden war. Von den 16 Bietern, allesamt Männer, hatte ein Sinziger mit seinem Gebot von 5700 Euro die Nase vorn.

Derweil beäugten die Besucherinnen Schmuck im ehemaligen Esszimmer oder Kleidung im Schlafzimmer im Obergeschoss. "Hier oben war ich noch nie. Ich hätte nicht gedacht, dass es hier doch noch so groß ist. So groß wie Annemies Herz", stellte Nachbarin Olga Lachmann fest und ging auch nicht ohne "ein Stück von Annemarie": eine Vase, einen Spiegel und eine Tasche. Ein Ehepaar aus Dedenbach freute sich über eine neuwertige Kaffeemühle und ein Silbertablett, und ein Grafschafter über mehrere Wäschekörbe voller Speiseteller für seinen Imbiss. Elektrogeräte und Staubsauger sowie "0,1-Liter Cola-Gläser und alles, wo irgendwas mit Sinzig draufsteht", seien besonders begehrt, so Geschäftsführer Stefan Möller von der Lebenshilfe. Sehr großen Anklang fanden die Streichhölzer mit Rheinschenke-Aufdruck, die gleich kistenweise abgegeben wurden. "Da denken wir bei jedem Kerzenanzünden an Annemie und die Zeit mit ihr", sagte eine Frau.

Nach dem Krieg hätten Annemies Eltern die Gaststätte eröffnet und die Tochter Anfang der 60er Jahre übernommen, wusste sie. "Bei einem Spanien-Urlaub 2010 hat sie sich am Bein verletzt und danach hatte sie immer seltener auf. Zuletzt wirkte sie einsam, die letzten Monate war sie im Heim." Völlig überrascht waren Lebenshilfe und Schwanenteich-Verein, als sie vor Neujahr von der Erbschaft erfuhren. Warum ausgerechnet sie bedacht wurden, fanden sie erst nach und nach heraus: "Einige unserer Bewohner sind immer hier Kaffeetrinken gegangen", sagte Möller.

Martina Weiland vom Schwanenteich-Vorstand sagte, dass der im Spätsommer 2014 verstorbene Lebensgefährte Kreiers ein Tier- und Naturfreund gewesen sein solle. "Es wäre schön gewesen, wir hätten sie noch kennengelernt." Als Rettung zur rechten Zeit bezeichnete Weiland die unverhoffte Finanzspritze angesichts jahrzehntelangen Sanierungsstaus: "Sonst hätten wir unter anderem für die schon begonnene Sanierung von Dächern am Schwanenteich einen Privatkredit aufnehmen müssen." Trotzdem sei der Verein auch wegen des desolaten Zustands von Zaun und des Paddocks unvermindert dringend auf Spenden angewiesen.

Auch für die Lebenshilfe zähle jeder Euro wegen eines vorgesehenen Anbaus, sagte Möller. Da sei es auch nur gut, dass es bereits mehr als 20 Kaufinteressierte für das "Rheinschenke"-Haus gebe.

Den Schnäppchenjägern beim Flohmarkt machten es die Organisatoren leicht: Fast jeder Preisvorschlag wurde sogleich akzeptiert. Wichtig ist laut Weiland, "dass so wenig wie möglich weggeworfen wird". Was übrig bleibe, soll anderen guten Zwecken zukommen wie dem Sozialkaufhaus Lisa oder bedürftigen Familien.

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