Rhein-Ahr-Campus Minijobs stehen bei der Diskussion in der Kritik

REMAGEN · Schwach besucht, obwohl einen großen Personenkreis betreffend, war die spannende Podiumsdiskussion zum Thema "Minijobberinnen und Altersarmut" am Rhein-Ahr-Campus in Remagen.

 Diskutierten (v. l.): Martin Schmitt, Gabi Weber, Mathias Heeb, Stefan Sell und Christa Lenz.

Diskutierten (v. l.): Martin Schmitt, Gabi Weber, Mathias Heeb, Stefan Sell und Christa Lenz.

Foto: GAUSMANN

Bei der Veranstaltung des Grünen Kreisverbands Ahrweiler und des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz, Rhein-AhrCampus Remagen (Ibus-Institut), nahmen der Arbeitspolitik-Experte Professor Stefan Sell des Ibus-Instituts, die DGB-Regionsvorsitzende von Koblenz, Gabi Weber, Martin Schmitt von der Grünen Landesarbeitsgemeinschaft Soziales und Christa Lenz von der Beratungsstelle Frau und Beruf Ahrweiler teil. Die rheinland-pfälzische Frauenministerin Irene Alt musste kurzfristig absagen, teilte Moderator Mathias Heep, Kreisvorsitzender der Grünen, mit.

Zwei Drittel aller Minijobber sind Frauen. Vielen von ihnen droht im Alter ein Leben in Armut, da sie in den 450-Euro-Beschäftigungen kaum Rentenrücklagen aufbauen. Ursprünglich im Rahmen der Agenda 2010 geschaffen, um durch niedrigere Lohnnebenkosten für verstärkte Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und höhere Beschäftigung zu sorgen, öffneten Minijobs laut Schmitt die Tür zu "Lohndumping". Weber sprach von Missbrauch "durch ganze Firmen, die qualifizierte Leute ausbeuten und nur Minijobber einstellen". Sozialökonom Sell fügte hinzu, dass trotz der arbeitsrechtlichen Gleichstellung Minijobbern oft Ansprüche etwa auf Urlaubsgeld und Lohnfortzahlung bei Krankheit vorenthalten würden.

"Es gibt Zeiten, wo es verlockend sein kann, aber das Risiko 'einmal 450-Euro-Job immer 450-Euro-Job' ist hoch", sagte Christa Lenz, eine Meinung, über die in Remagen Konsens herrschte. Ihr wäre es am liebsten, "wenn diese Beschäftigungen auf ein Minimum reduziert würden". Auch Weber will die Jobs "nur noch für Studenten und Menschen, die aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind", zulassen. Denn die auf 450 Euro angehobene Geringfügigkeitsgrenze verschärfe das Problem nur.

Für den Kreis Ahrweiler nannte sie 30 500 sozialversicherungspflichtige Versicherte und 8000 gering Beschäftigte. Die Zahl der Geringverdiener insgesamt sei aber höher, da unter den Versicherten viele Frauen in Teilzeit arbeiteten. Der DGB schlägt als Reform vor, die Minijobber in den regulären Arbeitsmarkt einzugliedern, also Sozialversicherungspflicht für Arbeitgeber und Beschäftigte ab dem ersten Euro. Der Anteil der Beschäftigten soll sich nach und nach erhöhen, indem die Gleitzone von 400 bis 850 Euro, innerhalb der die Beiträge der Beschäftigten langsam steigen und die Arbeitnehmerbeiträge sinken, nach vorne verlegt wird. Dies auch, "um es für Arbeitgeber attraktiver zu machen, die Beschäftigung auszuweiten".

Zudem will der Gewerkschaftsbund die Eingliederung ins allgemeine Steuersystem, "denn die jetzige Steuerbehandlung ist die größte Versuchung für Frauen, die Jobs anzunehmen", sagte Weber. Damals hatten die Grünen die Minijobs mitbeschlossen, was Schmitt bedauerte. Nun möchten die Grünen für die gering Beschäftigten "die ganz normale Versicherungspflicht", sprich von Anfang in voller Höhe, halbe-halbe für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Webers Aussage "Frauen wollen mehr, und Männer wollen weniger arbeiten", widersprach Sell: "Das ist Wunschdenken." Es greife immer noch das tradierte Rollenverhalten auch bei jungen Familien. Eine Studie belege, dass Männer nach der Geburt des ersten Kindes länger arbeiteten. Christa Lenz bestätigte, "Frauen tragen die soziale Last". So würden Mütter von Grundschullehrern "als Hilfspersonal" eingeplant.

Zu den Minijobs meinte sie: "Es rechnet sich für Familien, aber die Frauen sind immer die Dummen." Denn Frauen sind wegen der Kinderbetreuung weniger flexibel. "Das ist auf dem Arbeitsmarkt wie bei Behinderten", pflichtete Sell bei. Vielfach habe die "Drohkulisse Hartz IV" die Menschen in Minijobs getrieben. Die Aufhebung der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge unter Rot-Grün habe mit dem Einzelhandel die stabile Arbeitsplatzsituation einer ganzen Branche ins Rutschen gebracht, legte Sell die Ursachen der Entwicklung offen. "Gegen die gewaltige Reform, der man sich jetzt stellen müsste, ist Hartz IV ein Kinderspiel gewesen", sagte Sell voraus.

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