Kantaten und Kontraste Ausverkaufte Kirchenbänke in Oberwinter

OBERWINTER · Unter dem Motto "Kontraste. Deutsche Chormusik vom Mittelalter bis zur Gegenwart" bot das Bonner Vokalensemble unter der Leitung von Ulrike Ludewig nicht nur ein hochkarätiges, sondern auch musikalisch sehr abwechslungsreiches Konzert, das volle Kirchenbänke in der Evangelischen Kirche Oberwinter garantierte.

 Das Bonner Vokalensemble bei einem Auftritt in Oberwinter.

Das Bonner Vokalensemble bei einem Auftritt in Oberwinter.

Foto: Martin Gausmann

Wer zu Beginn des Konzertes in der Innenstadt noch einen Parkplatz suchte, der konnte sich auf einen weiten Fußmarsch gefasst machen. Das Konzert begann mit einem Sprung von fast 800 Jahren. Hildegard von Bingen hat ihr "Ave generosa" im 12. Jahrhundert komponiert, Hugo Distler sein "Ich wollt, dass ich daheime wäre" im 20. Jahrhundert.

Dieser musikgeschichtliche Kontrast zeigte, dass sich die Musik zwar über die Jahrhunderte hinweg verändert hat - von der Einstimmigkeit Hildegards zur komplexen Vielstimmigkeit Distlers -, gleichzeitig aber ihren Kern kaum verändert hat: den Versuch in Tönen Gefühle geistlicher oder auch rein weltlicher Natur zum Ausdruck zu bringen.

Im direkten Vergleich konnte das Publikum erleben, wie sich auch der Raum verändert, wenn die Art der Musik wechselt. Viele Werke umfasste das Programm des Konzertabends nicht, diese schufen dafür jedoch - auch aufgrund ihrer jeweiligen Länge - eine große Tiefe.

Unterbrochen wurden die reinen Chorstücke von Johann Sebastian Bachs Zweiter Gambensonate BWV 1028, die von Felix Schönherr am Cembalo und David Schütte am Cello vorgetragen wurden.

In den barocken, bodenständigen Melodien konnte das Publikum die Gedanken schweifen lassen und zur Ruhe kommen. Herzstück des Konzertes war die zwischen 1723 und 1735 komponierte Kantate Bachs "Jesu, meine Freude" BWV 227.

Entgegen der Überschrift glich die Komposition musikalisch eher einer Trauermusik. Der Text vermittelte die Abkehr von den weltlichen Dingen und die Hinwendung zum Geistlichen, was besonders im Mittelstück, einer Fuge, in ausdeutenden Koloraturen auch musikalisch zum Ausdruck gebracht wurde.

In einem erneut gewagten Sprung in die musikalische Moderne trug das Vokalensemble Knut Nystedts "Immortal Bach" vor. Das Bleibende war Bach, der Kontrast war die Sprechweise der Musik. Nystedt bringt in dem Chorstück nämlich die ersten Zeilen von Bachs Kantate "Komm, süßer Tod" BWV 478 in eine beständige Rotation durch alle Tempostufen und Stimmlagen.

Am Ende waberte ein riesiger Klangteppich durch das Kirchenschiff, der in einem verhauchenden Nichts verhallte. Mit einem Klassiker endete das Konzert: Johannes Brahms Motette "Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen?" op. 74,1.

Ähnlich wie bei seinem Deutschen Requiem, hat Brahms auch hier Bibel- und Lutherzitate aneinandergereiht, um mit nachdenklichem Pathos der urmenschlichen Frage nach dem Warum nachzugehen. Die während des Konzerts aufgestaute Begeisterung des Publikums brach sich nach dem letzten Ton mit voller Wucht Bahn.

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