Kommentar Keine Denkverbote

Man stelle sich vor: Ein Ratsmitglied kommt zu spät, wuselt dann in seinen Unterlagen, die jungfräulich aus dem Umschlag kommen, blickt zu seinem Nachbarn, hebt die Hand und stimmt ab - ertappt.

Was sonst Zuhörer kaum mitbekommen, Ratsmitglieder allerorten aber nicht selten frotzeln lässt, könnte fürderhin so öffentlich sein, dass es peinlich wird. Nämlich dann, wenn jedermann Ratssitzungen im Internet live oder als Aufzeichnung sehen und hören kann.

Nichts gegen Transparenz. Die Idee, durch neue Medien Bürgern mehr Einblick in die Entscheidungsfindung zu geben, ist gut. Dass sie von einem eigentlich nicht zuständigen Gremium für ein anderes, zuständiges Gremium vorgeschlagen wird, ist zwar ungewöhnlich, aber schließlich gibt es da keine Denkverbote.

Nur an der Möglichkeit der Umsetzung, da darf gezweifelt werden. Denn wie sagte Bürgermeister Achim Juchem dem GA: "Wir leben in Deutschland, wo bekanntermaßen eigentlich alles durch Vorschriften und Gerichte entschieden ist." So wird's kritisch für den Live-Stream oder die Aufzeichnung im Internet, auch wenn Plenarsitzungen aus Berlin oder Mainz live über TV-Kanäle laufen. Internet ist eben nicht Fernsehen. Ohne Zustimmung jedes einzelnen Anwesenden läuft nichts.

Und schon 1990 hat das Bundesverwaltungsgericht im Kernsatz entschieden: "Die Willensbildung des Rates muss ungezwungen, freimütig und in aller Offenheit verlaufen." Das war zwar im Prä-Internet-Zeitalter, gilt aber bis heute.

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