Jüdische Musik in Niederzissen Weltklasse-Streicher in der Synagoge

NIEDERZISSEN · Aufwühlend und mitreißend zugleich war das Streicherkonzert in der ehemaligen Synagoge Niederzissen. In der neu aufgelegten Reihe "Musik in der Synagoge" spielten auf Einladung der Stiftung "Villa Musica" die italienische Geigerin Francesca Dego und Cellist Alexander Hülshoff Werke von Johann Sebastian Bach, Erwin Schulhoff und Maurice Ravel in drei kleinen, ländlich gelegenen Synagogen in Rheinland-Pfalz.

 Präsentieren ein sensationelles Konzert: Geigerin Francesca Dego und Cellist Alexander Hülshoff.

Präsentieren ein sensationelles Konzert: Geigerin Francesca Dego und Cellist Alexander Hülshoff.

Foto: Martin Gausmann

Hülshoff ist als Intendant der "Villa Musica" und Professor an der Folkwang Universität in Essen ein herausragender Musiker von Weltruf, und auch sein Cello, das kein geringerer als Giovanni Grancino 1691 in Mailand gebaut hatte, war ein wahrer Hörgenuss. Star der Abends indes war die junge italienische Geigerin Francesca Dego. Nicht nur in Italien ist sie ein umjubelter Star. So repräsentierte sie ihr Heimatland musikalisch bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien, war die erste italienische Geigerin, die das Finale des Paganini-Wettbewerbs erreichte und gewann als jüngste Siegerin den Enrico-Costa-Preis sowie zahlreiche weitere Preise weltweit. Für die "Deutsche Grammophon" spielt sie derzeit Beethovens Violinsonaten ein und stand aus diesem Grund für diese drei Konzerte in Deutschland zur Verfügung. Ein Glücksfall für die Musikfreunde aus dem Brohltal, denn an diesem Abend ließ sie sowohl eine Franceso-Ruggeri-Violine aus dem Jahre 1697 als auch eine Guarneri del Gesù von 1734 erklingen.

Zuvor hatte Richard Keuler, Vorsitzender des Kultur- und Heimatvereins Niederzissen, die Zuhörer in dem zum Bersten gefüllten Haus zu einem "historischen Abend in der Synagoge" begrüßt. Davon überzeugte sich auch Bürgermeister Johannes Bell in der ersten Reihe Platz nahm. Auf dem Programm standen nämlich zwei der schönsten Streicherwerke von Johann Sebastian Bach in der ernsten Tonart d-Moll, dazu zwei Werke für Geige und Cello aus dem 20. Jahrhundert von Erwin Schulhoff und von Maurice Ravel.

Den Auftakt machte Hülshoff als Solist mit der zweiten Cellosuite von Johann Sebastian Bach, BWV 1008. Mit weit ausschwingenden Melodiebögen, ausdrucksstarkem Duktus und einer expressiven Solokadenz im Stile Vivaldis leitete das Präludium über in die Allemande. Ganz im französischen Stil mit vielen Vollakkorden und affektierten Melodielinien war sie ein erster Höhepunkt des Abends.

Die beiden Menuette kamen leichtfüßig und elegant daher, hatten aber eine Reihe von harmonischen Widerhaken und bildeten einen reizvollen Kontrast dazu. Die abschließende Gigue verwandelte das Cello mit einigen rustikalen Doppelgriffen in eine Art mürrische Drehleier mit witzigem Schlusspunkt. Erwin Schulhoff war ein jüdischer Komponist aus Prag, der als Vorreiter der frühen Avantgarde in einem deutschen Konzentrationslager starb. Sein Duo für Violine und Cello aus dem Jahre 1926 zeigt den expressiven Reichtum und die große Originalität seiner Musik. Im "Moderato"-Satz unterbrachen ein munteres Allegretto, eine obertonreiche volkstümliche Melodie und ein virtuoser Ausbruch den Fluss. Ein Satz zum Warmwerden für die Violinistin, denn anschließend traktierte sie ihr Instrument nach Art eines Zigeunerstücks derart stürmisch-leidenschaftlich mit dem Bogen, dass man Angst um die Saiten haben musste. Das Finale schließlich nahm die Melodie des ersten Satzes wieder auf, lief dann aber in einem wilden Presto fanatico aus, bei dem die beiden Solisten in einem eindrucksvollen Zusammenspiel ihre exzellente Virtuosität unter Beweis stellten.

Im zweiten Teil des Niederzissener Konzerts präsentierte Dego zunächst Bachs Chaconne für Violine aus de Partia secondo, BWV 1004. Sie begann mit einem schmerzlichen Thema, das mit herben Dissonanzen durchsetzt war und das im weiteren Verlauf noch zweimal wiederkehrte. Der Höhepunkt des Dur-Teils ist an vollstimmiger Pracht kaum zu übertreffen, sinkt dann aber plötzlich wieder in ein resignatives d-Moll zurück. Der virtuosen Italienerin gelang es gänsehauterregend, zum Schluss den ganzen Schmerz des Satzes noch einmal zusammenzuballen.

Nun stieß Hülshoff wieder hinzu bei der Sonate für Violine und Violoncello von Maurice Ravel mit dem Titel "A la Mémoire de Claude Debussy". Aus dieser Funktion als Trauerstück für Debussy erklärt sich wohl auch der eigenartige Ton des Werkes. Es ist besonders im langsamen Satz von tiefer Stille der Linienführung geprägt, die plötzlich in heftige Erregung aufbricht. Rasend schnell war das Scherzo, bei dem die Zupftechnik des Pizzicato in geradezu aggressiver Weise eingesetzt wurde und das Publikum förmlich mit sich riss. Das Finale glich schließlich einem Kaleidoskop von unterschiedlichen Tanzrhythmen, wie sie Debussy geliebt hatte. Jeder, der an diesem Abend dabei war, wird dieses sensationelle Konzert nicht so schnell vergessen.

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