Kinder und Jugendliche im Kreis Ahrweiler Trinken, bis der Arzt kommt

KREIS AHRWEILER · Benne hat in drei Tagen mal eben 300 Euro auf den Kopf gehauen. "Versoffen", sagt der Gymnasiast aus dem Kreis Ahrweiler. Dafür schämt er sich. Auch dafür, dass ihm wegen seiner Eskapaden seine Freundin den Laufpass gegeben hat. "Die will mit mir nichts mehr zu tun haben", kommt es ihm zaghaft über die Lippen.

 Verführerische Fläschchen: Gerade an Karneval sind die Gefahren durch Alkohol für Kinder und Jugendliche groß. Vor allem, weil vieles Hochprozentige auch süß schmeckt.

Verführerische Fläschchen: Gerade an Karneval sind die Gefahren durch Alkohol für Kinder und Jugendliche groß. Vor allem, weil vieles Hochprozentige auch süß schmeckt.

Foto: Martin Gausmann

Benne ist gerade 17. Seine Beine zittern. Er weiß nicht, was er in den vergangenen Tagen angestellt hat, Filmriss. Benne ist "Komasäufer". Und ein Fall, bei dem Geld im Elternhaus keine Rolle spielt, sondern Geborgenheit und Liebe ersetzt.

"Ich will nicht mehr saufen." Benne, der einst "bewunderte starke Mann, der seine Clique unter den Tisch trinken konnte", ist mit sich und der Welt so ziemlich am Ende. Dabei stimmen die Leistungen in der Schule - noch. Und außer Oma hat zu Hause noch niemand etwas gemerkt. Benne ist krank, alkoholkrank. Damit gehört er zu den mehr als 1500 jungen Leuten, die sich jährlich in Rheinland-Pfalz im Wortsinne "wegschütten, bis der Arzt kommt".

2012 waren es im Land 1683 Jungen und Mädchen. "Bundesweit landen Tag für Tag etwa 70 Kinder und Jugendliche betrunken in einer Klinik", sagt Michael Hübner, Landeschef der DAK. Tendenz steigend. Dieses trotz Prävention und Aufklärung über Suchtgefahren in den Schulen.

Und jetzt steht der Karneval vor der Tür. Da kommt zum Alkohol noch der Gruppenzwang. "So hat's bei mir auch angefangen", sagt Benne. "Wenn du trinkst, dann bist du erwachsen. Dass du dich hinterher wie ein kleines Kind fühlst, das sieht keiner. Die sehen nur, dass du total besoffen in der Ecke liegst." Rund 30 junge AW-Bürger werden jährlich zwischen Weiberfastnacht und Rosenmontag vom Rettungsdienst ins Krankenhäuser gebracht. Diese Zahl nannte das Rote Kreuz am Dienstag.

Damit es nicht so weit kommt, starten die Jugendpfleger vor der heißen Phase des Karnevals ihre Aktion "Kinder, Jugendliche, Familien stark machen". Darauf weist der Sprecher der Jugendpfleger im Kreisr, Jürgen Schwarzmann, hin: "Wer jungen Menschen Alkohol anbietet, handelt in einer falsch verstandenen Freizügigkeit." Auch der Kreis warnt: "Im Jugendschutzgesetz ist der Alkoholkonsum von Jugendlichen in der Öffentlichkeit geregelt."

Bier, Wein und Sekt dürften ab 16 konsumiert werden, für Hochprozentiges gelte aber das Alter von 18 Jahren. Die Abgabe von Alkohol an Kinder unter 14 sei komplett verboten. Darauf sei besonders beim Straßenkarneval zu achten. Und: "Alkohol darf nicht an Personen ausgeschenkt werden, die erkennbar betrunken sind, besonders nicht an Jugendliche."

Benne würde sich freuen, wenn sich andere vor einem Jahr bei ihm daran gehalten hätten. Da war er 16 und an Karneval unter Dauerstrom. Das will er nie mehr sein. Deshalb steht er mit zittrigen Beinen vor der Tür der Selbsthilfegruppe. "Das will ich konsequent durchziehen. Ich hab ja schließlich auch konsequent gesoffen." Den ersten Schritt hat er getan.

Nachfragt

Michael ist 51, Lehrer, Alkoholiker und seit fünf Jahren trocken. Er besucht eine Selbsthilfegruppe im Kreis Ahrweiler. Mit ihm sprach Günther Schmitt.

Welche Selbsthilfegruppen gibt es im Kreis Ahrweiler?
Michael: Den Kreuzbund in Bad Neuenahr und die Anonymen Alkoholiker in Ahrweiler.

Kann da jeder so einfach hin?
Michael: Ja. Die einzige Voraussetzung ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören.

Gibt es Hemmschwellen?
Michael: Nun ja, als Lehrer sucht man sich schon eine Gruppe in einem anderen Ort aus. Man will ja schließlich nicht unbedingt Leuten aus dem eigenen Kollegium über die Füße laufen.

Sucht oder Krankheit?
Michael: Alkoholismus ist die einzige Krankheit, die dadurch gestoppt wird, dass man etwas weglässt: den Alkohol. Es ist eine tödliche Krankheit der Seele. Die kann jeden treffen: Penner, Pauker, Polizisten, Politiker, Pennäler.

Gibt es Tipps?
Michael: Ratschläge sind auch Schläge. Nur eins hilft. Immer wieder in die Gruppe kommen. Ich kenne Leute, die seit 30 Jahren trocken sind und immer noch jede Woche aufschlagen. Da lohnt es sich einfach zuzuhören.

Und bei Rückfällen?
Michael: Rückfälle gehören zu dieser Krankheit. Sie sind aber nicht Pflicht. Wichtig ist: Auch wer Mist gebaut hat, kann wiederkommen. Niemand muss sich schämen.

Was bedeutet Trockenheit?
Michael: Leben. Der, der nass kein Klavier spielen konnte, kann es trocken auch nicht. Aber das ist ihm egal. Hauptsache, er muss nicht trinken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort