Kritik von Siam Kenges Mangelnde Toleranz der älteren Generation gegenüber Migranten

BAD NEUENAHR · Wie Willkommenskultur für Flüchtlinge aussieht, macht Waldorf vor. Dort werden sie, egal ob sie aus Eritrea oder Syrien stammen, als Neubürger bezeichnet und ins Dorf integriert. Was zuletzt bei der Vor-Tour der Hoffnung und dem Besuch der stellvertretenden Ministerpräsidentin Eveline Lemke eindrucksvoll dokumentiert wurde.

 Siam Kenges (77) spricht aus, was er denkt. Ihm fehlt an seinem Altersruhesitz Bad Neuenahr die Kölner Toleranz.

Siam Kenges (77) spricht aus, was er denkt. Ihm fehlt an seinem Altersruhesitz Bad Neuenahr die Kölner Toleranz.

Foto: Günther Schmitt

Dass Willkommenskultur aber auch eine Art "Unkultur" sein kann, davon berichtet Siam Kenges im Gespräch mit dem General-Anzeiger.

Der 77-Jährige stammt aus Istanbul, kam 1964 nach Köln und blieb. Denn gelernte Holzbildhauer und anerkannte Künstler wie Kenges waren gefragt. Er heiratete Inge, ein "kölsch Mädchen", fand Respekt in Beruf, Nachbarschaft, Freundeskreis. Acht Jahre lang hat er seine Frau bis zu ihrem Tode 2006 gepflegt. "Eine Selbstverständlichkeit", wie er sagt. "Wir waren mehr als 40 Jahre glücklich verheiratet, Inge vom Rhing, ich vom Bosporus."

"Die Kölner Toleranz vermisse ich hier"

Als Witwer lebt er jetzt seit drei Jahren in Bad Neuenahr, mitten in der City. "Hier ist alles anders als in Köln, das eine weltoffene, tolerante Stadt ist", berichtet der Mann, der stets Wert auf Anzug mit Weste legt und in dessen Appartement Staub keine Chance hat. "Die Kölner Toleranz vermisse ich hier. Das sage ich, weil ich alt bin, keine Angst habe und es die Wahrheit ist." Die Jungen könnten sich gegen Angriffe wehren, die Mittleren würden wegen ihrer Familien schweigen, die Alten? - "Ich bin kein Weichei", sagt Kenges, dem auch schon Schläge "angeboten" wurden. Er sei nicht mehr bereit, im Schwimmbad wegen seiner braunen Hautfarbe Sprüche wie "Wann haben Sie sich zuletzt gewaschen" hinzunehmen. Oder das Erlebnis im Konzert, als ein älterer Mann seiner Frau beim Anblick des gepflegten Seniors sagte: "Pass auf deine Handtasche auf".

"Es sind nicht die Jungen, die solche Sachen von sich geben. Es sind die Älteren, die sich eigentlich an uns - früher nannten wir uns auch selbst Gastarbeiter - gewöhnt haben müssten. Das habe ich in mehr als 40 Jahren Köln nicht erlebt." In Bad Neuenahr sei es teilweise sogar so, dass sich im Ausland Geborene verschiedener Nationalitäten - wie jüngst in der Eisdiele erlebt - sogar gegenseitig als Ausländer bezeichnen würden. "Dabei bin ich seit 22 Jahren deutscher Staatsbürger und stolz darauf."

Stolz ist er auch darauf, dass gerade junge Menschen anders seien. Deshalb hat er auch sein gesamtes Spezialwerkzeug, das er für den Beruf des Holzbildhauers brauchte, der Berufsbildenden Schule des Kreises Ahrweiler gestiftet. Grund: "Wenn junge Menschen einen Beruf erlernen, dann lernen sie auch Toleranz." Die vermisste er an seinem überalterten Altersruhesitz und macht sich so seine Gedanken um das Miteinander: "Wenn sich da nichts tut, werde ich trotz meines Alters die Stadt wieder verlassen. Hier fehlt vielen die Offenheit, wirklich jeden willkommen zu heißen. Da muss an der Willkommenskultur noch gearbeitet werden."

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