Die Versöhnung steht im Vordergrund Lebensfreude gegen das Vergessen

AHRWEILER · Jüdische Musikfolklore in der ehemaligen Ahrweiler Synagoge zum Gedenken an die Opfer des Holocausts.

 Sibylle Kynast und ihr Folkensemble beim Auftritt in der ehemaligen Synagoge.

Sibylle Kynast und ihr Folkensemble beim Auftritt in der ehemaligen Synagoge.

Foto: Martin Gausmann

Zum israelischen Feiertag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, dem "Yom Haschoa", haben Sibylle Kynast und ihr Folkensemble mit jüdischen Liedern aus ganz Europa in der ehemaligen Synagoge in Ahrweiler konzertiert. Auf dem Programm standen Lieder gegen das Vergessen einer großen musikalischen Volkskultur, die besonders die Lebensfreude betonten - sehr zur Freude des zahlreichen Publikums.

Kynast, bekannt geworden an der Seite Udo Lindenbergs bei den "City Preachers", spannte das ganze Panorama jüdischen Alltagslebens in zahlreichen unterschiedlichen Sprachen auf. Im jiddischen "Scha still" tanzte ein Rabbi sich zu orientalisch angehauchter Musik dermaßen in Ekstase, dass selbst der Himmel erzitterte. Auf Hebräisch beschrieb sie die feurige Hitze des "Arava"-Tales. Auch südländische Klänge blieben an diesem Abend nicht ungehört: In der eigenen Sprache der spanisch-stämmigen Juden, den Sepharden, besang Kynast zu schwüler Mittelmeermusik einen Abschied aus gebrochenem Herzen: "Adio Kerida". Das Publikum hielt nach dem Lied noch einen Moment den Atem an, bevor es begeistert applaudierte. Im ins Hebräische übersetzten Latinolied "Shecharchoret" schlüpfte Kynast in die Rolle einer Gruppe Matrosen, die einem Mädchen hinterherschmachten. Tiefsinnig wurde es mit "Adama". Das Stück ist ein mahnendes Danklied auf die "Ima Adama", die "Mutter Erde", der die Menschen zum einen ihr Leben verdanken, die aber zum anderen vom Menschen ausgebeutet und zerstört wird. Mit "Di goldene Pave" kam ein melancholisches Schlaflied auf Jiddisch zu Gehör.

Der darin besungene goldene Pfau steht mythologisch für große Gefühle, sowohl positiver als auch negativer Art. So hob der Text verliebt an, um am Ende in der Trauer verlorener Liebe zu verhallen. Doch das typische Augenzwinkern jüdischer Kultur hatte auch seinen Platz an diesem abwechslungsreichen Abend. In "Lomir sich iberbetn" bat ein Liebhaber darum, dass sich seine Angebetete doch durch seine zahlreichen Geschenke erweichen ließe. Kynast äußerte in ihrer Anmoderation den Wunsch, dass dieses Lied eine Metapher für eine größere Versöhnung sein könnte: die zwischen den Völkern. Höhepunkt des Abends war das Duett zwischen Kynast und ihrem Bassisten Paul Rudolf, in dem ein Heiratsvermittler einer heiratswilligen jungen Frau unterschiedliche Kandidaten präsentiert. Doch das Mädchen möchte weder einen Schuster noch einen Schneider, sondern nur einen Rabbi. Schließlich sitzt sie auf dem Dach ihres Hauses und lacht in ihrer Freude darüber, endlich einen Mann gefunden zu haben.

Das Publikum quittierte das unterhaltsame Lied und die Interpretation mit hörbarem Schmunzeln und anhaltendem Applaus. Am Ende waren die Zuhörer von Kynasts tiefer und klarer Stimme dermaßen begeistert, dass sie von den jüdischen Liedern nicht genug bekommen konnten. Zwei Zugaben waren Pflicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort