Schnitger-Orgel Rowan West erfüllte seinen Lebenstraum

ALTENBURG · Als Kind hat er im anglikanischen Dom von Sydney andächtig dem Orgelspiel gelauscht und es dort auch selbst gelernt. Und seine Großmutter spielte ihm schon früh Schallplattenaufnahmen vor, die auf einer Schnitger-Orgel in Steinkirchen im Alten Land entstanden.

 Orgelbauer Rowan West vor dem Gehäuse der Schnitker-Orgel.

Orgelbauer Rowan West vor dem Gehäuse der Schnitker-Orgel.

Foto: Gausmann

Deshalb wusste Rowan West schon als 13-jähriger Junge in Australien, dass er einmal Orgelbauer werden wollte - wegen dieser Orgel und ihrem Baumeister Arp Schnitger. "Damals wollte ich dieses Instrument unbedingt einmal live sehen. Dass ich diese Orgel aber einmal selber restaurieren würde, lag weit jenseits meines Vorstellungsvermögens", erklärt der Chef der Altenburger Orgelbaufirma jetzt, rund 50 Jahre später.

Er hat in seiner Werkstatt in dem Altenahrer Ortsteil unter anderem die Steinkirchener Schnitger-Orgel im Jahr 2012 restauriert, nachdem er noch in Australien den Orgelbau lernte, 1975 mit einem Stipendium nach Bonn kam und sich nach seiner Meisterprüfung 1987 selbstständig machte.

Doch damit nicht genug: Er hat auch den Auftrag für die Rekonstruktion der Schnitger-Orgel von Sankt Johannis in Oederquart/Landkreis Stade erhalten. Das Hauptwerk dieser 1682 eingeweihten Barockorgel steht jetzt in seiner sieben Meter hohen Firmenhalle in Altenburg. Fast bis an die Decke reicht es und misst rund drei Meter im Quadrat. Drumherum wird geklopft und gehämmert, gesägt und poliert.

"Es ist das höchste der Gefühle, so ein Instrument von einem so berühmten Orgelbauer wieder zu alter Pracht zu verhelfen", sagt West und ist fasziniert von der Orgel und dem Erbauer. "Orgelbauer zu sein war im 17. Jahrhundert so was wie Raketenbauer heute. Sie standen damals an der Spitze der technischen Gesellschaft, weil sie es schafften, Mechanik, Windführung, Akustik und komplizierteste physikalische Gesetze in einem einzigen Instrument zu vereinen."

Schnitger sei weltweit führend gewesen. "Dieser Mann ist nach wie vor ein absolutes Vorbild, und eine Leitfigur für meine Berufswahl. Man muss ihn als Großmeister des Orgelbaus und Hauptfigur in technischer Kulturgeschichte bezeichnen". Er habe Orgeln für den Zarenhof Peters des Großen in Moskau und für den preußischen König das Instrument für die Eosander-Kapelle im Charlottenburger Schloss hergestellt.

Seine Instrumente, darunter etliche große Domorgeln, finden sich im ganzen Nordseegebiet, in London, Portugal und Brasilien, sagt West. Die Menschen seien auch nach 350 Jahren noch fasziniert vom Klang der barocken Schnitger-Orgeln, die echte Pilgerstätten seien mit Abertausenden von Besuchern pro Jahr aus Europa, den USA, Japan und Südkorea.

Die Erfüllung eines Lebenstraums ist für den Altenburger die Oederquarter Orgel auch, weil sie als eine von nur zwei Orgeln in Deutschland noch die Original-Prospektpfeifen aus Zinn besitzt. Dieses sei wegen der schwierigen Verhüttung einst fast so teuer wie Silber gewesen, aber die entsprechenden Orgelpfeifen im Gegensatz zu den sonst üblichen Zinn-Blei-Legierungen klanglich "heller, definierter und leuchtender, wie eine schöne Damenstimme: leicht, wendig und elegant".

Als West die Oederquarter Orgel Anfang 2013 in Augenschein nahm, "war sie nur halb so groß wir ursprünglich, und kein Detail stimmte: weder die Pfeifenmaße noch Spieltisch oder Spielmechanik." Statt wie früher 28 Register, drei Manuale und Pedal hatte sie nur noch 18 Register, zwei Manuale und Pedal und überzeugte weder musikalisch noch technisch. "Gerade, weil so viele Schnitger-Orgeln so wunderbar restauriert sind, hat man gehört, dass die technische Spielbarkeit und das Klangerlebnis hier mit Schnitger nichts zu tun hatten."

2500 bis 3000 Pfeifen sind bei dieser Orgel zu restaurieren. Das geschieht in Altenburg nach alten Methoden auf selbst gebauten Maschinen, die wie vor Jahrhunderten funktionieren: vom Gießen des Materials bis zum Polieren der Pfeifen per Hand mit Polierstahl und Seifenwasser.

So würden einfach die haltbarsten und klangschönsten Instrumente entstehen. Sehr aufwendig zu rekonstruieren, ist neben der Machart der Pfeifen der alte Spieltisch: "Nichts von dem Originalspieltisch ist mehr vorhanden gewesen, alles wurde weggeschmissen, weil man im 19. Jahrhundert glaubte, fortschrittlich zu sein und die alte Orgel nicht mehr der Mode entsprach: dumpfer, dunkler und grundtöniger sollte sie damals klingen."

Die Oederquarter Orgel wurde auch mehrfach umgebaut. Erhalten ist aber noch die Schwesterorgel in Lüdingworth/Cuxhaven, die West und sein Team genau unter die Lupe nahmen und ausmaßen. Sie fotografierten, zeichneten und recherchierten. Bis hin zu der Art und Weise wie und wo gedübelt ist, den Holzstärken oder der Maserung des Holzes orientieren sie sich an identischen "Schwester". In der Altenburger Werkstatt haben sie unter anderem bereits den Spieltisch gebaut und 40 Prospektpfeifen von 20 Zentimetern bis zwei Metern Länge aufpoliert.

Nachdem das Hauptwerk, wieder in der Kirche steht, wird das Ahrtal-Team etwa neun Monate lang das Rückpositiv und danach etwa ebenso lange das Brustwerk ("mit den ganz kleinen Pfeifen, die sehr frech sind, sehr renaissancehaft, sehr frisch sind") restaurieren. Dann folgt für Klangspezialist Rowan West das Spannendste, aber auch Nerven aufreibendste: "Die Intonation ist Psychoterror, aber wenn sie vollbracht ist, lässt man es fließen und strömen." Nach Misstönen über Monate zwischen acht und zwölf Stunden am Tag spielt er dann manchmal stundenlang auf einer restaurierten Orgel, bis seine Mitarbeiter ihn wegreißen, weil sie endlich nach Hause wollen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort