Schlacht von El Alamein Freisheimer Edmund Wilbert kämpfte in der Wüste

FREISHEIM · Im nordafrikanischen Sand verbrachte Edmund Wilbert unfreiwillig viele Jahre seines Lebens. Vor 70 Jahren begann am 23. Oktober 1942 die Schlacht von El Alamein, bei der der unerfahrene Soldat in englische Gefangenschaft geriet. Fünf Jahre lang musste er als Kriegsgefangener hinter Stacheldraht in der Wüste leben.

 Als junger Soldat marschierte Edmund Wilbert (vorne Mitte) in vorderster Reihe.

Als junger Soldat marschierte Edmund Wilbert (vorne Mitte) in vorderster Reihe.

Foto: privat

Da dürfte selbst der Arzt von Edmund Wilbert geschmunzelt haben, als sich sein Patient unlängst bei ihm vorstellte. Der stets zu Späßen aufgelegte 88-jährige Niederkasseler wusste bereits, worauf der Mediziner bei einer der Kontrolle der Ohren achten musste: "Herr Doktor, ich spür' da so ein Kribbeln, da ist immer noch Sand aus Bengasi drin", belehrte die rheinische Frohnatur scherzhaft den Arzt.

Mit "Sand aus Bengasi" kennt sich der ehemalige Postbeamte, der aus dem Kreis Ahrweiler stammt und der Liebe wegen später nach Niederkassel zog, in der Tat aus: Im nordafrikanischen Sand verbrachte er unfreiwillig viele Jahre seines Lebens. Vor 70 Jahren begann am 23. Oktober 1942 die Schlacht von El Alamein, bei der der unerfahrene Soldat in englische Gefangenschaft geriet. Fünf Jahre lang musste er als Kriegsgefangener hinter Stacheldraht in der Wüste leben.

Im April 1942 bekommt Edmund Wilbert den Einberufungsbescheid, es geht zur Grundausbildung in die Pfalz. Der 18-Jährige wird jäh aus seiner heilen Welt gerissen, einem dörflichen Leben in Berg-Freisheim. Der Vater war Landwirt und betrieb ein Lebensmittelgeschäft. "Vater, wir wollen das Beste hoffen", so verabschiedete sich der junge Mann damals. Bald war klar, an welcher Front er als Infanterist zum Einsatz kommen würde: "Rommel und sein Afrikakorps brauchen Verstärkung", hieß es nur lapidar. Welch langer Weg ihm bevorstand, ahnte Wilbert nicht.

Zu dem Zeitpunkt hatte die britische 8. Armee den Vormarsch von Rommels Panzern bereits zum Stehen gebracht: Nahe einer damals völlig unbekannten Eisenbahnstation bei dem Küstenort El Alamein, mitten in der Wüste Ägyptens.

Dorthin wäre Wilbert beinahe nie gelangt: Auf dem Überführungsflug von Kreta nach Tobruk bekommt die Transportmaschine vom Typ Junkers Ju 52 einen Motorschaden und setzt zu einer Notwasserung über dem Mittelmeer an. Die 21 Soldaten in der Maschine glauben, ihr letztes Stündlein habe geschlagen. Doch kurz über der Wasserlinie kann der Pilot die Maschine stabilisieren und zurück nach Kreta fliegen. "Alles reine Glückssache", erinnert sich Edmund Wilbert. Viele Kameraden hatten dieses Glück einen Tag zuvor nicht gehabt. "Bei einem Transportflug wurden gleich drei Ju 52 abgeschossen."

Wenig später gelingt der Lufttransfer nach Tobruk. "Afrikanischen Boden betreten", notiert er in sein Soldbuch am 1. August 1942. "Per Anhalter" geht es weiter zu seiner Einheit, dem 382. Infanterieregiment. Und in Richtung "Front".

Bei glühender Hitze habe man versucht, "bevorzugt auf Wasserwagen mitzukommen", erzählt er. In den vor El Alamein festgefahrenen Stellungen erwartet Wilbert eine Einöde mit Schützenlöchern, schlechter Verpflegung, kaum Wasser, Sandflöhen und Millionen Fliegen: "Eine Schnitte Brot war schnell übersät mit Fliegen", so Wilbert: "Daran durfte man sich nicht stören, sonst hätte man nicht lange überlebt ."

"Überleben" beherrscht das Denken der Soldaten, als am 23. Oktober 1942 die britische 8. Armee zur ihrer lang geplanten Großoffensive antritt. Für den damals 18-Jährigen ist die Schlacht schnell beendet: Britische Soldaten waren in seinen Schützengraben eingedrungen und schrien ihn mit vorgehaltenen Gewehren an: "Hands up!" - Hände hoch. In einer langen Kolonne aus Kriegsgefangenen geht es hinter die britischen Linien. Vorbei an zahllosen gegnerischen Panzern und Kanonen. Für Wilbert steht angesichts der Übermacht fest: "Das dauert keine Woche, dann bricht hier alles zusammen."

Die Niederlage des Afrikakorps erlebt er nicht mehr mit: Es beginnt für ihn eine Odyssee durch britische Kriegsgefangenenlager in Alexandria, Port Said und Suez. Völlig entkräftet von den Strapazen, landet er 1943 schließlich in der Hafenstadt Bengasi, wo er sich auf einem britischen Schiff voller Kriegsgefangener wiederfindet. "Wir sollten nach Kanada gebracht werden, zum Bäumefällen", glaubt Wilbert.

Ein Arzt, der ihn auf dem Schiff untersucht, prophezeit ihm im Falle einer Überfahrt: "Du wirst die Sonne nicht mehr lange sehen." Der junge Mann nimmt alle seine Kräfte und seinen Mut zusammen: Er steigt über die Reling und springt von dem auslaufenden Schiff. Als er aus dem Meer gefischt wird, ist der Gefangenentransporter in weiter Ferne.

Edmund Wilbert kommt in ein großes Lager bei Bengasi. In der dortigen Zeltstadt hinter Stacheldraht wird ihm der Posten des Essensverteilers zugewiesen, ein undankbarer Job: "Teilen sie mal ein Tablett mit kleinen Marmeladeportionen, wenn 60 Leute Schlange stehen."

Immer wieder gibt es Fluchtversuche, Tunnel werden unter dem Stacheldraht gegraben, kaum ein Ausbruch gelingt jedoch. Wilbert bleibt und erhält die Uniform eines Lagerpolizisten.

Seine Aufgabe ist es, aufzupassen, "dass etwa die Beduinen nachts nicht unsere Zelte stahlen". Verspürte er so lange und so weit weg von der heimatlichen Ahr kein Heimweh? "Man durfte einfach nicht nachdenken", sagt er mit leiser Stimme.

Endlich, am 14. August 1947, ist es soweit: Edmund Wilbert darf nach Hause. Mit dem Schiff geht es von Bengasi nach Hamburg, und zwar in einer nagelneuen deutschen Marineuniform, die er zuvor von den Briten bekommen hat: "Damit hätte man auch über die Hohe Straße in Köln spazieren können."

Wilberts Glück hält an, als er mit dem Zug Altenahr erreicht: "Edmund?", starrt ihn auf dem Bahnsteig ein junger Mann an. "Oswald, bist du es?", fragt Wilbert entgeistert zurück. Freudestrahlend schließen sich die Brüder in die Arme. Zurück in Freisheim, hat sich die frohe Kunde schon wie ein Lauffeuer verbreitet: "Der Edmund ist wieder da."

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