Jugendamt im Kreis Ahrweiler Tamara C. wirft Behörde vor, ihr nicht geholfen zu haben

KREIS AHRWEILER · Erst vor wenigen Tagen hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Urteil gegen die Pflegeeltern der in Bad Honnef in der Badewanne ertränkten kleinen Anna rechtskräftig ist. Der Fall hatte erhebliche Turbulenzen im seinerzeit sachlich zuständigen Jugendamt in Königswinter ausgelöst, die auch heute noch nicht ausgestanden sind. Der Fall des zehnjährigen Mädchens rief die heute 31-jährige Tamara C. aus Kiel auf den Plan, sie wandte sich an den General-Anzeiger.

Sie selbst sei auch Opfer von Misshandlungen und Demütigungen gewesen. Allerdings im Kreis Ahrweiler. Das dortige Jugendamt habe trotz vieler Hinweise nichts unternommen. Heute fragt sie: "Wo war das Jugendamt? Warum habe ich so viele Jahre lang Prügel bekommen und die Behörde guckte zu?"

Als Kind lebte sie in zerrütteten Familienverhältnissen im Kreis Ahrweiler. Obwohl sie nach eigenen Angaben von ihren Eltern körperlich und seelisch schwerst misshandelt worden sein soll, habe sich das eingeschaltete Jugendamt so gut wie gar nicht um die Nöte des Kindes gekümmert. Tamaras Anliegen: "So etwas darf sich in keinem Jugendamt in Deutschland mehr wiederholen." Dass sich die junge Frau heute, viele Jahre später, an die Öffentlichkeit wendet, soll dazu beitragen aufzurütteln, soll Jugendämter sensibilisierten.

"Immer, wenn ich geschlagen worden war, wurde ich beim Jugendamt in Ahrweiler vorstellig. Die für meinen Fall zuständige Mitarbeiterin hatte mich zuvor aufgefordert, stets bei ihr vorzusprechen, wenn ich verprügelt worden bin. Das habe ich gemacht. Sie erklärte aber in diesen Fällen nur, dass sie wieder einmal bloß mit meinen Eltern reden wolle", so Tamara. Erst als sie androhte, sich das Leben zu nehmen, falls sie keine Hilfe erhalte, habe die Behörde reagiert und das Mädchen in ein Kinderheim gebracht.

Als einziges Kind besuchte sie dort das Gymnasium und machte Abitur. "Irgendeine Hilfe bekam ich nicht, obwohl Psychotherapie zur Behebung der eingetretenen seelischen Schäden empfohlen wurde", sagt Tamara rückblickend. Besonders traurig ihr Satz: "Das einzig Gute war, dass ich ins Heim gekommen bin." Ihre Kindheit sei alles andere als einfach gewesen. Sie und ihre drei jüngeren Geschwister seien von ihren Alkohol missbrauchenden und psychisch instabilen Eltern regelmäßig körperlich und seelisch misshandelt worden.

Von emotionalen Vernachlässigungen ganz zu schweigen. Das Jugendamt habe mehrfach Hinweise von Außenstehenden, unter anderem von Lehrern sowie von Eltern befreundeter Schüler bekommen, die auf die unerträgliche Situation der Kinder aufmerksam gemacht hätten. Geschehen sei nichts. "Warum ist vom Jugendamt nie einer gekommen?" fragt sich Tamara heute.

Bereits 1990 sei dem Jugendamt mitgeteilt worden, dass Tamara im Alter von zehn Jahren tagtäglich morgens ab 3 Uhr helfen musste, eine Tageszeitung in zwei Verteilbezirken auszutragen. Die Mutter habe im Auto gesessen, das Kind habe die Häuser abgehen müssen. Direkt nach dem Zeitungsaustragen sei sie dann in die Schule gegangen.

In derselben Zeitphase habe Tamara mehr oder weniger alleine den gesamten Haushalt geführt. "Ich habe geputzt, die Wäsche gemacht und mich um die jüngeren Geschwister gekümmert", berichtet sie. Wenn die Zehnjährige nicht spurte, habe es Schläge gegeben. Die Auswirkungen der Prügeleien seien auch im Sportunterricht erkennbar gewesen, wenn Tamara sich umgezogen habe.

Erst fünf Jahre nach den ersten dem Kreisjugendamt gemeldeten Auffälligkeiten, habe die Behörde Handlungsbedarf gesehen, nämlich als die inzwischen 15-Jährige, so ihre Darstellung, nahezu täglich grün und blau geschlagen persönlich im Kreishaus vorstellig wurde und die Bitte vortrug, in einem Internat untergebracht werden zu wollen. Statt ins Internat ging es ins Heim.

Ein Amtsarzt wurde nach Auskunft der heute 31-Jährigen nicht eingeschaltet. Eine ärztliche Untersuchung des regelmäßig geschlagenen Kindes: Fehlanzeige.

Während der Kinderheimzeit, so erinnert sich Tamara, habe es Versuche gegeben, die Familie wieder zusammenzuführen. "Das ist jedoch sehr schlimm verlaufen", sagt sie. Wieder habe es handfeste Auseinandersetzungen, Beschimpfungen und Unterstellungen gegeben. Auch die dem GA vorliegenden Akten zeigen: Der Versuch, einen Neuanfang zu machen und das gestörte Eltern-Kind-Verhältnis zu heilen, scheiterte nach Jahren der Kontaktlosigkeit mehr als kläglich. Tamara sehnte sich nach ihren Geschwistern und hoffte, endlich die Liebe von ihrer Mutter zu bekommen, die sie sich so wünschte.

Es kam stattdessen zum Streit. Tamara: "Mir wurde eine Sektflasche auf den Kopf geschlagen." Bei einem anderen Besuch habe die Mutter behauptet, Tamara habe ihre Schwester mit einem Messer bedroht und zudem angekündigt, sich umzubringen. Dies führte am selben Tag zu einer kurzzeitigen Einweisung in die geschlossene Abteilung einer Ahrweiler Klinik. Dort habe man schnell erkannt, dass die Darlegungen der Mutter nicht stimmen konnten.

Die behauptete Suizidgefahr konnte nicht festgestellt werden. Die junge Frau wurde entlassen und eröffnete gegen ihre Eltern (Mutter und Stiefvater) ein Verfahren wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in einem besonders schweren Fall. Das Verfahren (AZ 2030 Js 5198/07.2 Ls) wurde mit Beschluss vom 19. April 2009 wegen eingetretener Verjährung eingestellt.

Ein Jahr später wurde Tamara zu den noch nicht verjährten angeblichen Straftaten durch die Eltern nachvernommen. Hierzu erhob die Staatsanwaltschaft Koblenz am 3. August 2010 Anklage (AZ 2030 Js 30329/09.2) wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung. Das Verfahren ist nicht abgeschlossen.

Tamara C. möchte nun zur Aufarbeitung ihrer Kindheit genau wissen, was in den Akten des Jugendamtes steht. Im August 2012 hatte sie bei der Kreisverwaltung Ahrweiler Einsicht in ihre Akten verlangt. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Dabei will sie nur wissen: "Wo war das Jugendamt, als ich die Hilfe so dringend benötigte? Warum musste ich so viele Jahre lang Prügel bekommen, während das Jugendamt zuguckte?" Und ihr Rat an Kinder, die sich in ähnlicher Lage befinden, wie sie einst: "Ihr misshandelten Kinder und Jugendlichen, wehrt euch! Gebt nicht auf, bis ihr Hilfe bekommt." Tamara C. bekam sie nicht. Sie bezieht als junge Frau wegen Frühschäden eine kleine Rente.

Das sagt die Kreisverwaltung:

"Losgelöst von den menschlichen Schicksalen, mit denen Jugendämter befasst sind, muss stets der Persönlichkeitsschutz der Betroffenen und deren Familien beachtet werden.

Das Jugendamt der Kreisverwaltung Ahrweiler hatte die damals Jugendliche auf eigenen Wunsch Anfang 1997 in Obhut genommen. Sie wurde bis 2000 im Rahmen der Hilfen zur Erziehung betreut. Während dieser Zeit war sie auf Initiative des Jugendamtes in unterschiedlichen stationären Heimeinrichtungen untergebracht. Die Jugendhilfemaßnahme endete, nachdem die junge Erwachsene das Abitur machte, mit Hilfe des Jugendamtes eine eigene Wohnung bezog und sich verselbstständigte.

2007 hat sie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen Strafanzeige gegen Familienangehörige erstattet. Das Jugendamt hat die Ermittlungen unterstützt. Ein entsprechendes Strafverfahren war vor Gericht anhängig. Im Nachhinein, seit Ende 2011, hat sie Akteneinsicht verlangt. Die Kreisverwaltung kann ihr diese Akteneinsicht wegen des Datenschutzes, der auch andere Familienmitglieder betrifft, nicht gewähren.

Darüber hinaus hat sie Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen damals, vor zwölf Jahren, zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes erhoben, die im September dieses Jahres als unbegründet zurückgewiesen wurde."

Kreisverwaltung Ahrweiler

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