Bad Neuenahr-Ahrweiler Sterben für drei Glas Bier

KREIS AHRWEILER · Schulchroniken von Bad Neuenahr-Ahrweiler spiegeln die ersten Tage des Ersten Weltkrieges. Zwischen kurios und chaotisch, so könnte man die Ereignisse im Kreis Ahrweiler vor 100 Jahren beschreiben.

 Die Baustelle der Adenbachbrücke. Das strategische Bauwerk wurde nie fertig. Repro: GA

Die Baustelle der Adenbachbrücke. Das strategische Bauwerk wurde nie fertig. Repro: GA

Genauer gesagt: die ersten Tage des Ersten Weltkrieges. Diese haben schon vor 22 Jahren den Ahrweiler Heimathistoriker Hans-Georg Klein beschäftigt, als er, damals Rektor der Ahrweiler Grundschule, die Chroniken der Schulen in Ahrweiler, Bachem und Walporzheim unter dem Titel "Ahrweiler im Ersten Weltkrieg" auswertete.

Darin berichtete Rektor Christoph Strauck (1867 bis 1936), damals Chef der Ahrweiler Volksschule, von der Mobilmachung des Landsturms in der Nacht zum 2. August: "Unsere Bahn wurde sofort militärisch besetzt." Nur einen Tag später sorgte ein in Friedenszeiten normaler Transport für militaristisch-hysterischen Aktionismus. Strauch berichtet in der Schulchronik über Aufregung wegen eines Leichentransports von Hillesheim via Ahrweiler nach Bonn: "Man vermutete Bomben in dem Sarge." Er wurde geöffnet, der Tote untersucht und dann in Ahrweiler statt Bonn beigesetzt. Strauck: "Die Aufregung stieg noch mehr, als dann durch Trompetenblasen der Landsturm alarmiert wurde, weil feindliche Flieger gemeldet waren. Das geschah in den nächsten Tagen noch öfters." Dito die Pferdeschau des Militärs samt anschließender Requirierung vor dem Ahrtor.

Der normale Personenverkehr der Ahrtalbahn wurde indes auf zwei Fahrten je Richtung und Tag beschränkt. Militärzüge hatten Vorrang. Und davon gab es laut Bericht des Zeitzeugen durchaus mehr als 30 pro Tag. Grund: Die Ahrtalbahn führte nach Westen, also Richtung Frankreich. Und die Fahrten durchs Tal waren notwendig, weil die zweite Trasse zwar fertig, aber die dazugehörende Adenbachbrücke in Ahrweiler eben nicht fertig war. Sie wurde es auch nie. Ihre Pfeiler sind heute Mahnmale des Friedens und in den Tunnels der Bahnstrecke hat auch der Regierungsbunker der Bonner Republik schon längst ausgedient. Doch zurück zu den Ereignissen vor 100 Jahren.

Wie viele Soldaten per Bahn an die Front gekarrt wurden, darüber gibt ein Bericht von Geheimrat Franz Heising, damals Chef des Roten Kreuzes und Landrat in Ahrweiler, Auskunft. DRK und katholischer Frauenverein verteilten in den ersten Augusttagen 1914 am Ahrweiler Bahnhof 30.000 belegte Brote, 6000 Liter Kaffee, 7000 Liter Tee, 1500 Liter Milch, 3000 Liter Limonade, 4000 Flaschen Mineralwasser und 4000 Zigarren und Zigaretten.

Strauck nennt aber auch das erste Opfer des Ersten Weltkrieges aus dem Kreis. Es war Wilhelm Ropertz. Der Landsturmmann aus Bachem wurde am 12. August 1914 bei Dümpelfeld von einem Militärzug überfahren. Erster Gefallener aus Ahrweiler war Peter Hörsch am 24. August. Ihm sollten bis Kriegsende 179 weitere Männer aus der Bürgermeisterei Ahrweiler folgen. Und das alles für einen Hungerlohn. Denn der Tagessold für einen Soldaten betrug im Jahr 1914 33 Pfennige. Zum Vergleich: Ein Glas Bier kostete damals zehn Pfennige.

Während Strauck in seinen Aufzeichnungen beim ersten Todesopfer nur von "einem Ropertz aus Bachem" schrieb, ging sein Kollege Josef Bohn (1875 bis 1938) als Lehrer und Chronist der Bachemer Volksschule ins Detail. Ropertz sei als Bahnwache eingeteilt gewesen und als solche vom Zug erfasst und getötet worden. "Er wurde am Freitag, 14. August, auf dem Kirchhofe zu Ahrweiler mit militärischen Ehren begraben", berichtet Bohn.

Sein Walporzheimer Pendant Ferdinand Arens (1888 in Kempenich geboren, Todesjahr nach 1944) beschreibt hingegen in den Anfangstagen des kommenden Weltenbrandes die Stimmung im Dorf. "Voller Begeisterung und Vaterlandsliebe zogen die Krieger aus unserem Dorf zur Bahn." Auch stellt er einen Vergleich an: "1870 war die Begeisterung sicher groß, aber an 1914 reicht dieses Jahr nicht."

Wilhelminischer Hurra-Patriotismus durch und durch. Auch als es nach drei Monaten schon zwölf Gefallene aus Ahrweiler gibt und Arens stolz schreibt: "Der erste mit dem Eisernen Kreuz geschmückte Krieger aus unserem Ort ist Anton Dresen." Dresen starb am 23. September 1914 in Frankreich, was jedoch erst Monate später bekannt wurde.

Da war Strauck schon genauer. Er berichtet davon, dass am Samstag, 5. September, "zwei Züge mit 4000 Gefangenen der eroberten Festung Givet duchs Ahrtal ins Hinterland gebracht wurden. Erbeutete Geschütze drei Tage später dito. In Heppingen schlug der Blitz in den Turm von Sankt Martin ein und in den Lazaretten Calvarienberg und Maria Hilf begann das Sterben. Ein Kriegsfreiwilliger aus Hamburg wurde dort nur 19 Jahre alt. Weshalb aber zwei Türken zu den ersten Verwundeten im Ahrweiler Lazarett zählten und dieses bei 120 eingelieferten Patienten besonders erwähnt wurde, das ist nicht mehr zu ermitteln.

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