Demenzkranke Senioren als Holzbildhauer Mit dem Werkzeug in der Hand sind sie hellwach

ALTENBURG · So aufmerksam waren sie schon lange nicht mehr: Hellwach wirkten gestern die sechs Männer zwischen 75 und 90 Jahren, die sich mit dem Bildhauer Rudolf Schneider an zwei riesigen Baumstämmen zu schaffen machten.

 Erinnerungen werden wach: Bildhauer Rudolf Schneider leitet die hochbetagten Demenzkranken im Projekt "Gestalt-end" an.

Erinnerungen werden wach: Bildhauer Rudolf Schneider leitet die hochbetagten Demenzkranken im Projekt "Gestalt-end" an.

Foto: Martin Gausmann

Die schwer demenziell veränderten Senioren nahmen sie Stemmeisen und Hammer in die Hand, um den Fichten eine Form zu geben. Aus der einen wird im Rahmen des Projektes "Gestalt-end" in zwölf Wochen eine sitzende Frau, aus der anderen ein Mann, der in die Sterne guckt.

Schon zum fünften Mal führt das Altenburger Maternusstift im Garten das Baum-Projekt durch, das der Kreuzberger Schneider und Angelika Furth, die die Ergebnisse mit Fotos dokumentiert, mit Leiterin Elisabeth Schroeder-Solf aus der Taufe hoben. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Erfolge phänomenal sind. Plötzlich richten sich die gebeugt sitzenden Männer an dem Stamm auf, die Augen werden offen und blicken aufmerksam, die Hände greifen automatisch zum Werkzeug. Ein Bewohner quittierte das "Wir fangen heute an" von Sozialarbeiterin Marzena Nawrot mit einem breiten Lächeln. "Männer beteiligen sich nicht viel an den klassischen Aktivitäten wie malen, singen oder basteln.

Sie kommunizieren und integrieren sich wenig, geben sich eher einem Essen-Schlafen-Rhythmus hin", weiß Schroeder-Solf aus Erfahrung. Doch bei diesem Projekt ist alles anders. Die Männer nehmen sich und ihre Umgebung durch die Aktivierung der Sinne wieder wahr, die Anleitung des Bildhauers, das Werkzeug und das Holz. "Der eine war Schreiner in Mayschoß, der andere hat Pflasterarbeiten bei der Straßenmeisterei durchgeführt. Hier werden erstaunliche Prozesse in Gang gesetzt. Ich gebe den Männern für kurze Zeit ein Stück Lebensqualität zurück. Das ist meine Motivation", so Schneider.

Ob es tatsächlich so ist, dass das Wohlgefühl der Erkrankten positiv beeinflusst wird, untersucht die Uni Bonn mit einer Evaluation des Projekts. Sie hat dazu Fragebögen entwickelt. Interessant wird dann der Vergleich mit einer parallel in Pelm gestarteten Gruppe Demenzkranker, die an klassischen Angeboten teilnimmt. Vom Projekt begeistert war gestern auch eine Delegation aus Altenahrs belgischer Partnergemeinde Sint-Pieters-Leeuw. "Wir wollen sehen, ob wir es in unseren Pflegeeinrichtungen auch umsetzen können", so Bürgermeister Luc Deconinck.

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