Kreis Ahrweiler Als der Massentourismus das Ahrtal eroberte

KREIS AHRWEILER · Von wegen AW heißt "Armer Winzer". "Alles Wilde" wäre vor 60 Jahren die bessere Übersetzung des Ahrweiler Autokennzeichens gewesen. Denn ein Jahrzehnt nach Ende des Krieges griff an der Ahr das Wirtschaftswunder mit Folgen, die aus heutigem Blickwinkel durchaus als katastrophal bewertet werden dürfen: Der Ahrschreck machte sich breit.

 Kein Respekt vor der Bunten Kuh: Für eine Wette macht ein Tourist im Jahr 1956 Handstand auf der Felsnase, die hoch über der Ahr bei Walporzheim das Markenzeichen des Tales ist.

Kein Respekt vor der Bunten Kuh: Für eine Wette macht ein Tourist im Jahr 1956 Handstand auf der Felsnase, die hoch über der Ahr bei Walporzheim das Markenzeichen des Tales ist.

Foto: Martin Gausmann

Sonderzüge und -busse aus dem Ruhrgebiet spuckten an den Wochenenden an der Weinahr zwischen Ahrweiler und Altenahr ihre Ladungen aus. Einziges Ziel: das kollektive Besäufnis.

Ahrschreck stand damals übrigens für eine ganz bestimmte Sorte Touristen: die mit Strohhut, den sogenannten Kreissägen. Und das waren fast alle. Denn ein Ahrweiler Unternehmer sorgte mit seinem zum mobilen Laden umgebauten Motorroller immer für Nachschub. "Umfang und Verhaltensweisen der Besucher führten zu einer Rufschädigung der ganzen Ahr", erinnert sich Heimatforscher Jürgen Haffke.

Denn die Tagestouristen ließen zwar viel Geld im Tal, sorgten aber für eben soviel Unmut. Da war der Handstand eines Touristen wegen einer Wette 1956 auf der Felsnase der Bunten Kuh noch der harmloseste Auswuchs. Vor den Weinkellern stolperten die Einheimischen regelrecht über die "Weinleichen".

Denn, aus dem Ruhrgebiet nur den Umgang mit Pils oder Export gewöhnt, schlug der Weinteufel bei Mann und auch Frau bis Oberkante Unterlippe zu. Plakate sollten Abhilfe schaffen. Sie waren schnell gedruckt und sollten dem Ahrschreck seine eigene Lächerlichkeit vor Augen führen.

Nachgedacht wurde auch über ein Verbot der Kreissägen genannten Hüte und des öffentlichen Tanzens in Shorts. Das konnte, weil nicht rechtens, jedoch nicht umgesetzt werden. Stattdessen wurde bei den Polizeibehörden massiv um Razzien zur Einhaltung des Jugendschutzes und Alkoholkontrollen im Straßenverkehr geworben.

Arme Polizisten, die damals noch Gendarmen hießen. Altenahr kam einer Strafversetzung gleich. Denn womit es die Polizisten zu tun bekamen, machte bundesweit Schlagzeilen. So berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" am 13. Juni 1956: "Der Weinort Altenahr ist in den rußgeschwärzten Häuserblocks des Ruhrgebiets außerordentlich gut bekannt.

Über Schiene und Straße wird an jedem Wochenende eine vieltausendköpfige Flut erlebnishungriger und durstiger Lebewesen in diesen Kessel zwischen den wilden Felsen des Ahrtals hineingepumpt. In Altenahr regiert am Wochenende das, was die Polizei den 'Abschaum der Menschheit' nennt: Halbstarke, die kalkig-weißen Motorradhelme in der Hand, angetrunkene, verschwitzte Männer, Strohhüte auf dem Kopf, und Frauen, die vor Vergnügen kreischen, wenn ein Betrunkener auf dem Straßenpflaster hinschlägt."

Und immer dazwischen, wenn ihm nicht gerade mal wieder Zähne ausgeschlagen wurden, Hauptwachtmeister Zimmer. Als er an einem Wochenende den am Boden liegenden Wachtmeister Linden aus einer johlenden Meute am Bahnhof heraushauen wollte, wurde er auf seinem Rückzug zur Gendarmeriestation über das Brückengeländer in die Ahr geworfen, anschließend zum Rathaus gejagt und in der Wachstube hinter dem Schreibtisch "fertiggemacht".

Dem Ahrweiler Wachtmeister Schäfer ging's nicht viel besser. Bei seinem Himmelsfahrtskommando an einem Wochenende in Altenahr wurde er pensionsreif geprügelt - Riss der Schädeldecke. Im Sommer 1956 platzte dann Stationsleiter Weschenbach endgültig der Kragen: Er lehnte in einem Brief an das Koblenzer Präsidium die Verantwortung "für weitere Vorfälle im Wilden Westen" ab.

Konsequenz: In den Folgejahren fielen an den Wochenenden nicht nur Touristen, sondern auch Koblenzer Bereitschaftspolizisten busweise ein. Und denen saß der Gummiknüppel ziemlich locker. Dennoch dauerte es bis Anfang der 60er Jahre, bis Ruhe einkehrte. Für manche örtliche Registrierkasse zu viel Ruhe. Da wären sogar die Kreissägen - aber von den Jungs aus Koblenz diszipliniert - wieder gern gesehen gewesen.

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