"Deutschland sucht den Superstar" Wenn die Nerven blank liegen

KÖLN · Psychologe Klaus Biedermann betreut die jeweils letzten Kandidaten der Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) bei RTL.

 Die diesjährige Jury besteht aus: (v.l.) Heino, DJ Antoine, Mandy Capristo und Dieter Bohlen.

Die diesjährige Jury besteht aus: (v.l.) Heino, DJ Antoine, Mandy Capristo und Dieter Bohlen.

Foto: dpa

Anita (17) aus Wuppertal, Patrick (16) aus Bielefeld und Concetta (17) aus Iserlohn waren am Ziel. Fast. In der Vorentscheidung für die elfte Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) im Jahr 2014, für die sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz 35.343 Kandidaten beworben hatten, gelang ihnen der Sprung unter die 98 Auserwählten, die beim so genannten "Recall" auftreten durften. Einmal im Fernsehen waren sie. Dann das Aus.

Zu den 33 Glücklichen, die anschließend nach Kuba reisen durften, gehörten sie nicht. Was aus ihnen geworden ist? Wie sie damit klar gekommen sind? Niemand weiß es. Denn zu diesem Zeitpunkt kam Klaus Biedermann noch nicht ins Spiel. Seit 2002 betreut der 64-jährige Kölner Philosoph, Psychologe und Buchautor die letzten 15 Kandidaten der TV-Casting-Show als Coach.

Im Haus mit den DSDS-Kandidaten wohnt er während der Staffeln nicht, aber er besucht sie dort gelegentlich, und er kann sich sehr gut in ihre Situation versetzen: "Es sind teilweise noch sehr junge Menschen, die dort wie kaserniert leben. Was da abgeht, begreifen sie in diesem Moment noch gar nicht."

Klar dürften sie raus, aber das Haus sei vom ersten Tag von Fans umlagert. "Wo die aktuellen DSDS-Kandidaten untergebracht sind, das wissen die sofort. Wer im DSDS-Haus einzieht, für den ist die Zeit, wo er sich einfach mal so bei einem Schnellrestaurant einen Hamburger kaufen kann, vorbei", sagt der 64-Jährige. Das sei eine riesige Umstellung.

Dass die Teilnehmer der Casting-Show zumeist zwei Generationen jünger sind als er, macht ihm nichts aus: "Klar, ich könnte heute der Opa von denen sein. Aber ich komme mit den Kiddies supergut klar - wie mit eigentlich jedem. Wir machen auch manchmal Party, wir essen zusammen oder sehen fern." Zu vielen Ex-Kandidaten habe er auch immer noch Kontakt. Biedermann hat im Studio ein Büro, das zwei Mal in der Woche besetzt ist: "Mit jedem führe ich einmal in der Woche ein Einzelgespräch, bin aber auch sonst immer ansprechbar."

Besonders nach den Generalproben hört das Klopfen an seiner Tür nicht auf. Die Nerven liegen dann blank. "Ich glaube, ich habe total versagt!", ist ein typischer Spruch, den Biedermann da zu hören bekommt. Worauf er antwortet: "Stell' dir vor, du warst super - und ich frage dich: Wie hast du das geschafft? Darauf haben die meisten dann eine Antwort."

Darauf kann Biedermann in seiner Arbeit aufbauen - als Coach, der sich als Berater sieht. Einer, der den Kunden hilft, ihre eigenen Lösungen zu finden, die längst in ihnen schlummern und an die sie sich nur erinnern müssen, einer der keine Ratschläge gibt und keine Probleme sieht, nur Ziele. Gefragt ist er bei Lampenfieber, bei Selbstzweifeln ("Ich packe das nicht! Ich bin so schlecht!") oder bei Frustrationen ("Der Bohlen hat mich letztes Mal so angemacht!"). "Herr Bohlen, Sie haben total recht - aus Ihrer Sicht!", wäre laut dem Kölner da eine gute Antwort.

Biedermann, der in Neuwied zur Welt kam, lange Zeit in Bayern lebte und 2006 nach Köln zog, wo er heute ein eigenes Coachinginstitut betreibt, weiß, dass die Staranwärter unter immensem Druck stehen: "DSDS wurde im vergangenen Jahr noch live gesendet, da gab es keine Wiederholung!"In der aktuellen Staffel gibt es nur das Finale live im TV, zuvor treten die Kandidaten in kleineren Hallen vor Publikum auf.

Auch der Umgang mit der Presse will gelernt sein: "Ich sage den Kandidaten: Passt auf, was ihr der Presse sagt. Wenn eure Oma im Krieg Kohlen geklaut hat - die kriegen das raus!" Also doch Ratschläge? Mitunter schon, aber wenn, dann in der Regel nur solche, die Techniken empfehlen, die der Entspannung dienen oder Möglichkeiten eröffnen, das eigene seelische und emotionale Potenzial zu erkennen.

Solche Möglichkeiten, wie sie Biedermann auch in seinem neuesten Buch "Burn-In statt Burn-Out" beschreibt, und dem als Prämisse vorangesetzt wird, dass jeder das Zeug hat, sich selbst jederzeit zu ändern: "Ganz egal, wie alt man ist."

Was für Biedermann in seinem Metier zählt, ist "die hohe Kunst des Nicht-Wissens". Er sieht sich weder als Arzt ("Ich stelle keine Rezepte aus!") noch als Lehrer ("Da wäre ich bei DSDS auch eine völlige Fehlbesetzung. Ich kann nicht singen, und ich kann nicht tanzen!"), sondern als Wegbegleiter, als einer, der Menschen dabei hilft, herauszufinden, was gut und wichtig für sie ist. Einer der neugierig ist, der das Herz auf dem richtigen Fleck hat und weiß, wie man die richtigen Fragen stellt.

Dem konnte sich auch ein rebellischer DSDS-Kandidat namens Mark Medlock nicht entziehen. "Ich brauche keinen Therapeuten", hatte der erst aufbegehrt. Um am Ende den Therapeuten, der ja gar keiner ist, umso häufiger aufzusuchen.

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