Kaffeemühle und Grammophon Kölner lebt wie vor 100 Jahren

Köln · Er trägt Klamotten wie zu Urgroßvaters Zeiten, seine Wohnung erinnert an ein Museum: Mitten in Köln lebt ein junger Mann wie um die Jahrhundertwende - fast. Auf Kommunikationsmittel wie Internet und Handy mag er bei aller Nostalgie nicht verzichten.

 Florian Schmitz lebt weitestgehend wie vor 100 Jahren.

Florian Schmitz lebt weitestgehend wie vor 100 Jahren.

Foto: dpa

Kerzenleuchter, tickende Wanduhren, ein Grammophon: In der Kölner Wohnung von Florian Schmitz scheint die Zeit vor 100 Jahren stehengeblieben zu sein. Auf der altmodischen Blümchentapete hängen Porträts von Kaiser Wilhelm, verblasste Stickbilder und ein Tuch mit dem Spruch "Sich regen bringt Segen". Mitten drin sitzt der 25-jährige Schmitz am Küchentisch und kurbelt routiniert an einer Kaffeemühle. "Das mach ich jeden Morgen so, auch wenn es ein bisschen umständlich erscheint."

Doch das gehöre nun mal dazu, wenn man sich dafür entscheide, so "wie früher" zu leben. "Da steckt bei mir keine Philosophie hinter und keine politische Gesinnung. Ich habe einfach gespürt, dass es das ist, was ich will - und ich bin glücklich damit." Gekommen sei ihm diese Erkenntnis, als er 14 Jahre alt war. Damals gab es eine Fernseh-Dokumentation über ein Experiment, bei dem die Teilnehmer auf einem alten Gutshof so lebten wie die Menschen um das Jahr 1900, ohne Strom und fließendes Wasser. "Das war für mich der Anstoß."

Seine Eltern hätten es erst als pubertäre Phase abgetan, als er plötzlich in Klamotten rumlief, die seit Jahrzehnten aus der Mode waren, und sich seine erste antike Schrankuhr zulegte. "Aber irgendwann haben sie gemerkt, dass es mir ernst ist - zum Glück waren sie sehr tolerant." Nach und nach kaufte Schmitz immer mehr Dinge zusammen und stattete nach dem Auszug aus dem Elternhaus seine eigenen vier Wände nahezu museumsreif aus.

"Wenn ich dürfte, würde ich auch mit einem Kohleofen heizen und auf offenem Feuer kochen - aber das geht leider nicht in einer Mietwohnung", bedauert er. Darum gibt es in der Küche neben einem Kühlschrank auch einen Elektroherd.

Der Friedhofsgärtner trägt gerne Hosenträger, Tweed-Hosen mit hohem Bund, Mantel und Schiebermütze. Die steifen hohen Hemdkragen aus der Zeit um die Jahrhundertwende dagegen mag er nicht - "viel zu beengend". Seine blonden Haare sind an den Seiten kurz, das Deckhaar teilt ein Seitenscheitel. "Wenn ich unterwegs bin, werde ich oft komisch angeguckt oder ich krieg einen Kommentar ab - aber das ist mir egal."

Menschen, die durch ihre Kleidung und Lebensweise bewusst auffallen, befriedigten dadurch häufig bestimmte Grundbedürfnisse, sagt der Psychologe Steffen Fliegel. Oft habe ein solches Verhalten mit einer Erhöhung des Selbstwertgefühls zu tun. "Die Reaktion der anderen - auch wenn sie negativ ist - bedeutet dann für die Person eine Bestätigung. Man bekommt Aufmerksamkeit."

Bei der Suche nach alten Kleidungsstücken und Gegenständen wird Schmitz häufig auf Flohmärkten fündig - und bei Internet-Auktionen. Denn auch wenn eine antike Schreibmaschine dekorativ auf dem schweren Sekretär steht: Auf Computer und Smartphone möchte Schmitz nicht verzichten. "Sonst würde man sich abschotten und zum Einsiedler werden - und das will ich auf keinen Fall", betont er. "Verabreden Sie sich mal per Brief mit einem Kumpel! Das ginge doch gar nicht."

Seine Freunde akzeptierten ihn wie er ist. "Wir gehen am Wochenende raus, wie andere junge Leute auch. Ich sehe zwar anders aus, aber das ist dann auch der einzige Unterschied." Eine Freundin hat Schmitz momentan nicht. "Es ist schwierig, eine zu finden, die zu mir passt."

Doch so sehr er die Einrichtung, Kleidung und Frisuren aus der Zeit um die Jahrhundertwende liebt - er sei froh, dass er heute lebt. "Die damalige Gesellschaft, zum Beispiel das Frauenbild, das war doch schrecklich", meint er. "Wenn es eine Zeitmaschine gäbe, würde ich nur mitfahren, wenn ich auch wieder zurückkommen könnte."

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