Neuauszählung im Stadtteil Rodenkirchen Keine klaren Verhältnisse mehr in Köln

KÖLN · Ja, ist denn schon wieder Wahlkampf?", mag sich mancher Kölner am Dienstagmittag gefragt haben, der am Kalk-Karree vorbeikam. Vor dem Verwaltungsgebäude hatte die CDU einen Anhänger mit der Botschaft platziert: "Endlich klare Verhältnisse für Köln!"

 Premiere in Deutschland: Nach der Neuauszählung von rund 700 Stimmzetteln ist die rot-grüne Mehrheit im Kölner Rat gekippt.

Premiere in Deutschland: Nach der Neuauszählung von rund 700 Stimmzetteln ist die rot-grüne Mehrheit im Kölner Rat gekippt.

Foto: dpa

Es ging natürlich nicht um eine neue Wahl, sondern "nur" um die Neuauszählung von gut 700 Stimmen eines Briefwahlbezirks der Kommunalwahl vor einem Jahr in Rodenkirchen. Und vor allem um die Fragen: Haben die Wahlhelfer die Stimmen von CDU und SPD vertauscht? Ändern sich damit die Mehrheiten im Rat?

Igor Selenkewitsch ist einer von jenen Bürgern aus Rodenkirchen, die in den Tagen vor dem 25. Mai 2014 ihre Stimme per Brief abgegeben haben. Jetzt ist der 79-Jährige gespannt. "Ich will wissen, was mit meiner Stimme passiert ist", sagt er. Seit 30 Jahren ist er CDU-Mitglied.

Dass sein Votum der SPD zugeschlagen worden sein könnte - das will er sich gar nicht vorstellen. "Wichtig für mich ist die Wiederherstellung der größtmöglichen Glaubwürdigkeit in das Zählen bei Wahlen", meint er und fügt noch hinzu, "das ist doch die Basis der Demokratie überhaupt."

Selenkewitsch ist nicht der einzige CDU-Anhänger im Saal. In einer Mail an die Mitglieder hatte Kölns CDU-Parteichef Bernd Petelkau um zahlreiches Erscheinen gebeten. "Es wäre schön, wenn Sie durch Ihre Anwesenheit der Angelegenheit das politische Gewicht geben, das sie verdient", schrieb er und verwies explizit darauf, dass es ja "um die besondere Tragweite des Vorgangs, ... den Verlust des Mandats von Ott" gehe.

Ott, mit Vornamen Jochen, ist der SPD-Oberbürgermeisterkandidat für die Wahl am 13. September - und wenn nun gerade er aufgrund der Neuauszählung sein Ratsmandat verlöre, wäre das für die CDU eine besondere Freude. Mit FDP, Freien Wählern und Grünen unterstützt die CDU die Parteilose, den Grünen nahestehende Sozialdezernentin Henriette Reker.

"Lauter, wir sind schließlich das Wahlvolk"

Rund 50 Bürger sind es, die in dem engen und stickigen Sitzungssaal dabei sind, als Wahlleiterin Agnes Klein um 14.30 Uhr die Sitzung eröffnet. Es geht um Teams aus verschiedenen Fraktionen, die auszählen, um Umschläge, die versiegelt wurden und nun wieder geöffnet werden, doch die Bürger verstehen kaum etwas.

"Lauter, wir sind schließlich das Wahlvolk", ruft einer. Nach 20 Minuten kommen Techniker und bauen einen Lautsprecher auf - direkt hinter der Traube von Menschen, die sich um CDU-Parteichef Petelkau gebildet hat.

Um 14.58 Uhr gibt Klein das Zeichen, die am Abend des 25. Mai schon einmal gezählten Stimmzettel auf den großen Tisch zu legen. "Es müssten zehn bewerberbezogene Stapel sein", sagt sie. Der Stapel der Stimmen für die CDU-Kandidatin Alexandra von Wengersky liegt ganz links und ist deutlich höher als jener mit den Voten für Elke Bussmann (SPD). Von Wengersky sieht das, ein Lächeln huscht durch ihr Gesicht.

Mit einem Foto dokumentiert sie schnell die Stapel. Sie weiß jetzt, die Stimmenanzahl ist bei der Übermittlung des Ergebnisses vertauscht worden. "Mir war das schon klar, als ich die Einzelergebnisse sah", sagt sie dem GA. In allen Stimmbezirken registrierte sie große Zuwächse, SPD und Grüne hingegen Verluste - nur in jenem Briefwahlbezirk 20 874 war die Situation genau umgekehrt. "Das konnte nicht stimmen."

Parteigeschäftsführer Hans-Joachim Henke holt schon einmal die Blumen für von Wengersky und organisiert den Sekt für die Vorstandssitzung am Abend. Die Gesichtszüge von Stefan Götz hellen sich auf. Er ist der nächste auf der CDU-Reserveliste und nimmt Ott nun das Mandat ab. Sieben Stimmen zusätzlich hätte die CDU dafür nur benötigt.

Bis zum offiziellen Ergebnis dauert es noch eine knappe Stunde, doch euphorisch ist der Jubel der CDU-Anhänger im Saal nicht - obwohl jetzt feststeht, dass man das Wahlziel, Rot-Grün zu kippen, doch noch erreicht hat. Der Preis dafür aber war hoch. Petelkau spricht von rund 20 000 Euro, die die CDU an Anwaltskosten bezahlen musste - nur ein kleiner Teil werde von der Stadt erstattet.

Als Josef Platz das Gebäude verlässt, schüttelt er nur den Kopf. "Dass mit dem Ergebnis etwas nicht stimmte, hätte man doch auch kurz nach der Wahl feststellen können", sagt der 80-Jährige aus Niehl, "das ganze Gedöns hätte man sich dann sparen können." Derweil hat die CDU ihr Plakat weggebracht. Klar, sie fühlt sich bestätigt und kann womöglich wieder mehr Einfluss auf die Stadtpolitik nehmen - doch klare Verhältnisse, die gibt es in Köln erst einmal nicht.

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