Binnenleuchtturm in Ehrenfeld Im Lichtermeer der Großstadt

KÖLN · 300 Kilometer ist Köln vom Meer entfernt. Und trotzdem kann man in Ehrenfeld das Gefühl bekommen, an der See zu sein. Mitten in Köln steht einer der wenigen Binnenleuchttürme in Deutschland.

 Der Leuchtturm auf dem früheren Helios-Gelände in Ehrenfeld steht noch heute imposant in der rheinischen Metropole.

Der Leuchtturm auf dem früheren Helios-Gelände in Ehrenfeld steht noch heute imposant in der rheinischen Metropole.

Foto: Thomas Brill

Die Luft ist kühl und klar, der Himmel strahlend blau. Von unten klingt gedämpftes Brausen herauf, Möwen ziehen ihre Kreise, auf der Zunge liegt der Geschmack von Salz. Nicht nur dieser Geschmack ist eine Illusion: Die Möwen sind Tauben, das gedämpfte Brausen stammt keineswegs von der Brandung, sondern von den Autos, die über die Venloer Straße im Kölner Stadtteil Ehrenfeld rollen, und von den Zügen, die am nahe gelegenen Bahnhof ein- und ausfahren. Dennoch hat man das trügerische Gefühl, an der See zu sein. Schließlich befindet man sich auf einem Leuchtturm. Mitten in Köln, 300 Kilometer vom Meer entfernt. In Ehrenfeld steht einer der wenigen Binnenleuchttürme in Deutschland.

Hinter diesem Kuriosum steckt ein spannendes Stück rheinische Industriegeschichte. 1894/95 erbaut, diente der 44 Meter hohe Turm aus Backstein einst Werbe- und Versuchszwecken des Helioswerks, das elektrotechnische Geräte aller Art herstellte. Darunter auch Leuchtfeuer für Nordseeinseln wie Wangerooge und Borkum. Errichtet auf einem 20 Meter hohen Sockel, rund gebaut und sich nach oben hin verjüngend, war er einst das stolze Wahrzeichen einer Fabrik, die zu den deutschen Pionieren der Elektrotechnik zählte. Weit über Ehrenfeld hinaus sandte er seine Strahlen bis ins Umland. Auch heute leuchtet er nächstens noch ins Lichtermeer der Großstadt - ganz banal mit Neonröhren.

Was sich äußerlich als eines der besterhaltenen Industriedenkmäler Kölns präsentiert, steht seit 1986 unter Denkmalschutz. Inwendig ist der so imposant wirkende Turm marode, er wird heute nicht mehr genutzt. Wer ihn betritt, darf das nur mit Erlaubnis des dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) zugehörigen Amts für Denkmalpflege im Rheinland tun. Und nur auf eigene Gefahr. Die Stahltür des Eingangs ist mit Graffitis übersäht, daneben hängt ein verbeulter Briefkasten mit sechs Klingelschildern, die schon lange Jahre keine Namen mehr tragen. Drinnen herrscht muffiger Kellergeruch.

73 ausgetretene Steinstufen führen hinauf zu einem Zwischengeschoss, danach geht es weiter über rostige Metalltreppen. Der Blick nach oben ist schwindelerregend, die versetzten Treppenbrücken sind steil angebracht und wirken schmal wie Leitern. Für Menschen, die an Höhenangst leiden, gerät das zur Herausforderung. Die schmalen Plattformen zwischen den 76 Metalltreppen sind rostig, ebenso wie das Geländer und die Treppenstufen selbst, sie wirken wenig vertrauenerweckend, sind uneben und geraten in leichte Schwingung, wenn man sie betritt. Zum Schluss tatsächlich eine Leiter. Zehn Sprossen noch - und dann die Belohnung: ein Ausblick, der überwältigend ist.

Bei klarer Sicht kann man das Bergische Land erkennen, das Siebengebirge, Schloss Bensberg und die Sophienhöhe, Brauweiler und die rauchenden Industrieanlagen von Knapsack, Stadtteil von Hürth.

Hier oben, auf engstem, mit Dachpappe ausgelegtem Raum, rings ums gläserne, konische Lampenhaus, das 1996 in Anlehnung an den Originalzustand wiederhergestellt wurde, ist Professor Walter Buschmann in seinem Element. Der Wissenschaftler hat im dritten Vierteljahresheft des Amts für Denkmalpflege im Rheinland einen Aufsatz über die "Helios Electricitäts-Aktiengesellschaft in Köln-Ehrenfeld" veröffentlicht und weiß allerlei über das Werk zu berichten, das nicht von ungefähr den griechischen Sonnengott als Namensgeber wählte: "Hier wurden nicht nur Glühlichter und Bogenlichter hergestellt, sondern die Ausrüstung von Bauten und Anlagen mit Licht war eine besondere Spezialität." Helios erhellte den Gürzenich, Kölns "gute Stube", eine historische Festhalle in der Altstadt, den Nord-Ostseekanal und seit 1891 auch Leuchttürme. Aus industriegeschichtlicher Sicht hat Helios eine große Rolle in der Elektrifizierung gespielt: "Damals gab es nur sieben bedeutende Firmen in Deutschland", sagt Buschmann.

Nach der Jahrhundertwende kam der Niedergang, die Helios AG wurde liquidiert. Die einstige Montagehalle steht noch. 1928 wurde sie zur Rheinlandhalle für große Sportveranstaltungen umgebaut, 1957 eröffnete dort einer der ersten deutschen Supermärkte. Heute findet man dort ein Möbelhaus, ein Fitnessstudio und einen Fahrradladen. Auch das einstige Verwaltungsgebäude, die Werksmauer zur Heliosstraße, das alte Kraftwerksgebäude und der Leuchtturm erinnern noch an das beginnende Elektrizitätszeitalter.

"Was mit dem Leuchtturm wird, ist ungeklärt, er muss aber erhalten werden", sagt Industriedenkmalpfleger Buschmann und streicht dabei über das Stahlgeländer mit dem hübschen geometrischen Muster. Im November 2012 erstellte das Denkmalamt ein Gutachten. Im anstehenden Wettbewerb für die Neugestaltung des Areals - als dort ein Einkaufszentrum geplant wurde, verhinderte das eine Bürgerinitiative erfolgreich - erhofft sich der LVR dafür Beachtung. Bis dahin bleibt der Leuchtturm ein Kuriosum und sein Inneres den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Im Dämmerlicht regieren die Spinnweben, der Rost und die Vergänglichkeit.

Und das Meer ist weit, sehr weit, entfernt.

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