Weltflüchtlingstag in Köln Der dicke Pitter läutet für ertrunkene Flüchtlinge

Hunderttausende Flüchtlinge suchen Zuflucht in Europa. Zehntausende bezahlen die Flucht mit ihrem Leben. Im Kölner Dom läuten die Glocken in Gedenken an die 23 000 Menschen, die nach Schätzungen bei ihrer Flucht nach Europa im Meer ertrunken sind. Kardinal Rainer Maria Woelki kritisiert die europäische Flüchtlingspolitik.

 Versammlung im Regen: In Köln lauschten rund 4000 Besucher vor dem Dom den Worten von Rainer Maria Kardinal Woelki.

Versammlung im Regen: In Köln lauschten rund 4000 Besucher vor dem Dom den Worten von Rainer Maria Kardinal Woelki.

Foto: Nabil Hanano

Die Frau hat alle Hände voll zu tun. "Stell doch mal die Kiste rüber", ruft sie einer Mitarbeiterin zu, "holt doch mal unser Banner, damit wir das aufhängen können", spricht sie zwei junge Männer aus ihrem Team an. Dann aber hat sie einen Moment Zeit. "Ich weiß, wie es denen geht", sagt sie und berichtigt sich gleich, "nein, ich fühle, wie es denen geht."

Denen - damit meint Alphonsine Kayinamura die Hunderttausenden von Menschen, die in diesen Monaten aus ihrer Heimat flüchten und Zuflucht suchen, vor allem in Europa. An diesem Freitag steht sie beim großen Solidaritätsabend auf dem Kölner Roncalliplatz an ihrem Stand und verkauft ostafrikanische Spezialitäten - und sie erzählt, wie sie selbst vor 21 Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam. "Ich konnte nur Guten Tag und Auf Wiedersehen sagen, als ich mit meinen zwei Kindern aus dem Bürgerkrieg in Ruanda geflohen und nach Deutschland gekommen bin." Dort war sie Juristin, hier musste sie wieder völlig neu anfangen. Seit acht Jahren führt sie in Meckenheim einen Catering-Betrieb. Eine Flüchtlingsgeschichte mit Happy End.

Für viele andere Menschen, die nach Europa wollen, endet die Reise tragisch. Allein 23 000 - so wird geschätzt - sind seit dem Jahr 2000 bei dem Versuch ertrunken, von Afrika oder Asien über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. An sie erinnert niemand, es gibt kein Grab, keine Erinnerungsstätte. Für das Erzbistum Köln ein Grund, auf das Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam zu machen - mit einem Abend mitten in der Kölner Innenstadt.

Am frühen Morgen schon hat Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki im Radio und Fernsehen daran erinnert, dass nach dem Krieg acht Millionen Flüchtlinge in Deutschland Unterkunft gefunden hatten. "Gegenwärtig reden wir von 0,3 Millionen. Damals nach dem Krieg haben wir das geschafft. Heute sollten wir so etwas nicht bewältigen können?" Immer wieder hat er die aus seiner Sicht viel zu zögerlichen Politiker kritisiert.

Auf der Bühne des Roncalliplatzes werden Flüchtlingsgeschichten erzählt, von einer Vietnamesin, einem Syrer und einem Mann aus Eritrea, es werden Gebete gesprochen und eine Schriftlesung gehalten. Um 19.58 Uhr wird nicht mehr geredet, denn da übertönt der "Dicke Pitter", die mächtigste Glocke des Kölner Doms, alles andere. Viele Menschen schauen nach oben, einige sind sehr ergriffen, auf der Domplatte bleiben viele Menschen stehen und hören einfach zu. Der Dicke Pitter und 229 weitere Glocken läuten minutenlang, jede 100 Mal. In Bonn und in Euskirchen, in Düsseldorf und Wuppertal, in Gummersbach, in Sankt Augustin und in vielen anderen Pfarreien des Erzbistums. So soll mit den insgesamt 23 000 Glockenschlägen der verstorbenen Flüchtlinge gedacht werden.

Christoph Pistorius, Vizepräses der rheinischen Kirche, erinnert an die biblische Geschichte, als Gott seinem Volk den Weg durch das Schilfmeer gebahnt habe, und fordert: "Im Namen des Gottes, der sein notleidendes Volk aus der Gefangenschaft befreit hat, bitten wir die Verantwortlichen in unseren Städten, in unserem Land und in der Europäischen Union: Bahnet dem Herrn, der in den Flüchtlingen uns erscheint, den Weg." Viel Beifall von den 4000 Besuchern im strömenden Regen vor dem Dom.

Auch wieder, als Woelki sagt: "Wir brauchen eine europäische Flüchtlingspolitik, die einen legalen Weg für Flüchtlinge nach Europa schafft und eine Seenotrettung, die Menschen und nicht Grenzen schützt!" Eine politische Botschaft, die an diesem Abend von Köln aus gesendet wird. Doch es soll nicht nur geläutet, gebetet und appelliert werden. Das Erzbistum bittet auch um Spenden an die Aktion Moas eines maltesischen Ehepaars. "Die beiden haben vor zwei Jahren ein Schiff gekauft, umgerüstet, mit Seenotrettern ausgestattet, und es fährt seitdem über das Mittelmeer und rettet Menschen", sagt Woelki.

Rupert Neudeck spricht von einem Traum, der für ihn an diesem Abend in Erfüllung gehe. "Endlich wachen die christlichen Kirchen auf und zeigen der Politik auf, wie es gehen muss", sagt der Mann, der mit der Cap Anamur vor 35 Jahren durch das Südchinesische Meer gefahren ist und dort vietnamesische Flüchtlinge gerettet hat.

Vor dem Stand mit den ostafrikanischen Spezialitäten stehen derweil Mechthild und Jos Mariathasan, die in Siegburg mit anderen Ehrenamtlichen aus dem Sozialdienst Katholischer Menschen Flüchtlingsfamilien helfen. "Wir begleiten sie zu Ausländerbehörden, zu den Tafeln oder zu anderen Stellen", sagt Mechthild Mariathasan. Warum sind sie und ihr Mann an diesem Abend nach Köln gekommen? "Damit auch andere ermutigt werden, Flüchtlingen zu helfen", sagt sie.

Zur Person: Kölns Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki

Seit dem Abschied von Joachim Kardinal Meisner ist die Erzdiözese Köln kaum wiederzuerkennen. Das hat vor allem mit dem neuen Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki zu tun, seit dessen Amtsübernahme vor neun Monaten ein frischer Wind durch die Kölner Kirche weht.

Der 58-Jährige setzt neue Akzente, indem er etwa Führungspositionen in der Verwaltung nicht mehr nur mit Priestern, sondern auch mit Laien, dazu mit Frauen, besetzt. Unter Meisner undenkbar. Woelki entmachtet den Priesterrat und richtet einen neuen Pastoralrat ein, in dem Geistliche, Laienseelsorger und ehrenamtlich Engagierte mitwirken. Zudem versucht der gebürtige Kölner, in der Öffentlichkeit ein positives Bild der Kirche zu zeichnen.

Was sich nicht geändert hat, ist grundsätzlicher Natur. Wie Meisner hält Woelki eisern daran fest, dass es am Sonntagmorgen keinen ökumenischen Gottesdienst in einer katholischen Kirche gibt. In Sankt Augustin-Hangelar musste daher der geplante Eröffnungsgottesdienst des ökumenischen Gemeindefestes von der katholischen in die evangelische Kirche verlegt werden.

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