Silvesternacht in Köln Was wollte „Mister X“ in der Silvesternacht?

Düsseldorf · Im Bericht zu den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht wollte wohl ein Polizist das Wort Vergewaltigung nicht lesen. Doch wer war das und was trieb ihn an?

Suche nach „Mister X“: Gibt es in der Landesleitstelle der nordrhein-westfälischen Polizei einen Beamten, der im Auftrag des Innenministeriums versucht hat, Einfluss auf Polizeimeldungen zur Silvesternacht zu nehmen hat? Oder sitzt dort ein Wichtigtuer, der den Kollegen mal „von oben“ erklären wollte, was eine Vergewaltigung ist - so sieht es ein Kölner Kriminalbeamter.

Am Montag nahm der „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“ des Düsseldorfer Landtags ein neues Feld ins Visier: Die „WE-Meldung“ der Kölner Polizei über „wichtige Ereignisse“. Dazu machte der Kölner Kriminalhauptkommissar Jürgen H. (52) im Zeugenstand eine bemerkenswerte Aussage: In außergewöhnlich schroffem Ton habe ihn am Neujahrstag ein Kollege aus der Duisburger Landesleitstelle angerufen und verlangt, den Begriff „Vergewaltigung“ aus der WE-Meldung an die polizeilichen Oberbehörden zu streichen - angeblich auf Wunsch des Innenministeriums.

Für NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), der wegen des Silvesterfiaskos unter Druck steht, ist das eine brisante Schilderung. Immerhin nährte sie schon in den vergangenen Wochen Spekulationen, ob das Innenministerium versucht haben könnte, die Dimension der Übergriffe wegen des völlig verkorksten Polizei-Einsatzes herunterzuspielen.

Die Krux: Der Kommissar weiß nicht, mit wem er telefoniert hat. Und NRW-Polizeiinspekteur Bernd Heinen verneint, dass es am Neujahrstag ein Telefonat der Landesleitstelle mit dem Polizeipräsidium Köln gegeben habe. Aussage gegen Aussage - Polizist gegen Ober-Polizist.

Allerdings spricht Einiges für die Aussage des Kölner Kommissars. Sein Kollege Joachim H. (52) aus der Frühschicht des Neujahrstages berichtet, dass er zum Ende des Telefonats die Antworten von Jürgen H. gehört habe. „Nach unserer Einschätzung ist das eine Vergewaltigung“, habe der dem Anrufer gesagt. Die Meldung sei auch nicht geändert worden.

Der Reim, den er sich auf den Vorgang macht: „Da hat sich ein Einzelner überhöht, weil er in einer Landesoberbehörde ist - fachlich völlig neben der Kappe und auch noch mit Drohung mit dem obersten Dienstherrn. Das ist einfach Unsinn.“ Auch Jürgen H. selbst sah den Anruf nicht als verbindliche Anweisung oder gar gesteuerten Vertuschungsversuch.

Die damalige stellvertretende Kripochefin von Köln, Heidemarie Wiehler, kann sich an den Ärger des Kölner Kommissars ebenfalls gut erinnern, kennt den geheimnisvollen Anrufer aber auch nicht. Die Landesleitstelle in Duisburg könnte aber durchaus nachhalten, wer an dem Tag Dienst hatte, stellt Joachim H. fest. „Wenn man das möchte, kann diese Person namhaft gemacht werden.“

Sein Kollege wundert sich bis heute über seinen mysteriösen Gesprächspartner: Er hätte erwartet, dass der sich inzwischen gemeldet und bekannt hätte: „Jawohl, das war ich.“ Sollte es in der Leitstelle einen Mister X geben, der nur vorgeblich im Auftrag des Ministeriums, in Wirklichkeit aber auf eigene Faust den Begriff der Vergewaltigung streichen lassen für das Eindringen in eine junge Frau mit den Fingern? Dann hätte Jäger allerdings jedes Interesse, diesen „Experten“ ausfindig zu machen. Am nächsten Montag ist er selbst als Zeuge vor den Ausschuss geladen.

Einer im Zuständigkeitswirrwarr der verschiedenen Polizeileitstellen will schon mal nichts damit zu tun haben: Der Dienstgruppenleiter im Lagezentrum des NRW-Innenministeriums. Er habe keinen Storno-Wunsch geäußert, versichert der 47-Jährige. Er habe die WE-Meldung aus Köln aber am Neujahrstag um 14.36 Uhr mit drei Ausrufezeichen in den ganz großen Verteiler gegeben: auch an die Staatskanzlei und den Innenminister persönlich.

Ob daraus die Dimension der Schreckensnacht ersichtlich war, darf bezweifelt werden. Vor dem Ausschuss berichteten die Kölner Polizisten von ganz unterschiedlichen Anzeige-Zahlen, die an verschiedenen Polizeidienststellen erfasst wurden. „Ich glaube, dass da jeder sein eigenes Süppchen gekocht hat“, stellt Kommissar Jürgen H. fest. „Das ist nicht zusammengeführt worden.“

So kam es am Neujahrsmorgen wohl auch zu der Polizeipressemeldung von friedlichen Silvesterfeiern. In seiner Frühschicht sei darüber gewitzelt worden, stellt Kommisssar Joachim H. fest: „Welches Köln meinen die? Dieses hier nicht!“.

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