Interview mit Festival-Organisator Ticketverkauf für Haldern-Pop-Festival ist schwieriger geworden

Haldern · Dieses Jahr findet das Haldern-Pop-Festival vom 9. bis zum 11. August statt. Im Interview spricht der Festival-Organisator Stefan Reichmann über die Region Niederrhein und den schwieriger gewordenen Ticketverkauf.

Drei Tage Musik hören und Feiern: Besucher des Haldern-Pop-Festivals.

Drei Tage Musik hören und Feiern: Besucher des Haldern-Pop-Festivals.

Foto: picture-alliance/ dpa

Jedes Jahr lockt das Haldern-Pop-Festival Tausende Musikfans in den kleinen Ort am Niederrhein. Dieses Jahr findet es vom 9. bis zum 11. August statt. Sebastian Peters sprach mit dem Organisator Stefan Reichmann über seinen Heimatbegriff, das Schokoticket und Konzertorte.

Herr Reichmann, Haldern Pop ist auch eine große Inszenierung des Dorfes als Heimatort. Wie wichtig ist der Heimatbegriff für dieses Festival?

Stefan Reichmann: Der Begriff Heimat ist spannend. Ich merke, wie er polarisiert. Wir bewerben unser Festival im Netz immer mit kleinen Filmen, in denen wir die nächsten bestätigten Künstler ankündigen. Den jüngsten Clip haben wir aus einem alten Heimatfilm namens „Wo die Linden rauschen“ des Filmemachers Clemens Reinders aus dem Ort gestaltet. Immer, wenn das Wort Heimat zu hören war, haben wir stattdessen ein Störgeräusch eingespielt oder das geschriebene Wort „Heimat“ schwarz überdeckt. Die Leute hier hat das irritiert, das habe ich an den Reaktionen gemerkt.

Was sollte dieser Kunstgriff?

Reichmann: Es hat ganz offenbar dazu angeregt, über Heimat nachzudenken. Ich beobachte, dass sich viele Leute nicht richtig aufgehoben fühlen. Die sollen aber wissen, wo sie herkommen. Ich finde es wichtig, dass sich die, die das Dorf verlassen haben, und die, die geblieben sind, beim Wiedersehen verstehen. Dass man sich noch übereinander freuen kann, auch wenn man als passives Mitglied des Schützenvereins nur noch alle zwei Jahre im Dorf ist. Sich dann gut zu verstehen, zeichnet einen Ort, zeichnet Freundschaft aus.

Inwieweit prägt eine doch sehr subkulturelle Veranstaltung wie Ihr Festival den Niederrhein?

Reichmann: Der Niederrhein ist immer Durchreiseland gewesen. Wir haben ja hier eher Porzellan gesehen als die Berliner. Die Tourismusbranche wirbt für unseren Landstrich übrigens mit dem Spruch „Typisch Niederrhein“. Das verstehe ich nicht, das ist eine Formel, die an Beliebigkeit nicht zu überbieten ist.

Besteht die Gefahr, dass der Niederrhein ähnlich wie der Osten verwaist?

Reichmann: Nein, es ist eine lebenswerte Region. Deshalb ist mir wichtig, dass wir noch Lehrer und Ärzte für den Niederrhein begeistern können. Die Aktion, die mich in diesem Kontext übrigens am meisten aufgeregt hat, ist, dass die Leute das so geschluckt haben, als der Nahverkehr das Schokoticket eingeführt hat.

Warum?

Reichmann: Das mobilisiert Jugendliche, die werden zum Centro gekarrt, unsere Ortskerne bluten aus. Alles für einen Zehner, die Kosten wurden auf die Eltern umgelegt. Das hat Strategie. Es halten auch weniger Busse, die die Orte verbinden. Das lässt ländliche Struktur hier und da aussterben. Nur wenn es Musealcharakter hat, ist es akzeptiert.

Hat das Festival seinen Blick geweitet, ist genresprengender geworden?

Reichmann: Du darfst nicht beliebig sein, aber musst dennoch Konsensmomente schaffen. Natürlich haben sich die Leute über Jan Delay aufgeregt, weil viele dachten, dass so ein Chartstyp hier nicht hingehört. Am Ende standen bei ihm aber so viele Leute vor der Bühne wie nie zuvor. Eine Schnittmenge finde ich wichtig. Trotzdem haben die Besucher die Möglichkeit, sich beim Festival zum Beispiel in die Bar oder ins Jugendheim zu verdrücken, sich ganz schräge Sachen anzugucken.

War das auch für Sie ein Lernprozess?

Reichmann: Wir haben nie ausgelernt. Und ich mache mir auch gerade keine Sorgen, nur weil wir nicht ausverkauft sind. Die letzten 200 Karten dröppeln so dahin. Letztes Jahr gab es Leute vom Schwarzmarkt, die auf uns gesetzt haben. Das finde ich total widerlich, wenn Leute auf unser Festival spekulieren.

Was heißt es denn für das Haldern-Pop-Festival, wenn es nicht mehr so schnell ausverkauft ist?

Reichmann: Viele Festivals müssen sich anstrengen. Das hat mit dem Wetter zu tun, vielleicht auch mit Terror-Ängsten. Es scheint eine größere Skepsis gegenüber Großveranstaltungen zu geben. Die großen Festivals wird es aber immer geben. Es gibt gewisse Künstler, die wirken nur auf großen Festivals. Die Sportfreunde Stiller zum Beispiel, die schaffen eine Taizé-Stimmung, ähnlich wie die Foo Fighters. Die brauchen die Kathedralen.

Man beobachtet bei Ihrem Festival Phasen: Erst kam elektronische Musik hinzu, dann Klassik, dann Jazz. Was kommt nun?

Reichmann: Klassik ist unsere Rente. Da gibt es noch so viel zu entdecken. Für mich sind aber die Orte spannender als das Genre. Wir haben bei uns die Kirche als Konzertort beim Festival, die Haldern-Pop-Bar, das Jugendheim, das Spiegelzelt und die Hauptbühne. Alles findet zwischen Ortskern und Reitplatz statt. Wenn ich die Leute sehe, wie sie durch unser Dorf schlendern, sich eine Nussecke beim Bäcker kaufen und den Augenblick genießen, dann freut mich das.

Was geht in Ihnen an den drei Festivaltagen vor? Stress?

Reichmann: Ich versuche, so viele der 70 Konzerte wie möglich zu schauen. Nur vier bis fünf schaffe ich nicht. Ich habe die Bands gebucht, also will ich ihnen zuhören.

Wie lange machen Sie Haldern noch?

Reichmann: Ich verspüre noch große Freude bei der Arbeit. Es ist so schön, dass viele junge Leute noch mitziehen und es immer noch ein gemeinsamer Genuss ist.

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