Streifzüge auf Kopfsteinpflaster

Bonn · Der Fotograf Erwin Quedenfeldt verewigte vor hundert Jahren zwischen Düsseldorf und Xanten, was Bombenhagel und Modernisierung später zerstörten. Jetzt macht ein Bildband gut 300 seiner Aufnahmen greifbar.

 Die Entschleunigung könnte eine Erfindung aus Xanten sein. Klever Tor, Probsteikirche und Mühle stehen noch heute.

Die Entschleunigung könnte eine Erfindung aus Xanten sein. Klever Tor, Probsteikirche und Mühle stehen noch heute.

Foto: Erwin Quedefeldt

Historische Fotos vom Niederrhein

Chemie ist, wenn es qualmt und stinkt. Ob es die saloppe Beschreibung seines Berufs gewesen ist, die Erwin Quedenfeldt immer wieder aus seinem Labor in die Fluren und Städtchen zog – wer weiß? Dass den Naturwissenschaftler bei seinen Streifzügen eine unheilvolle Ahnung beschlichen haben könnte, auf den Platten seiner Kamera der Nachwelt Unwiederbringliches zu erhalten, bewegt sich mindestens ebenso im Bereich der Spekulation.

Tatsache aber ist: Mit seinen Aufnahmen von Städten und Landschaften am Niederrhein, tat er vor hundert Jahren genau das. Mit verspätetem Erfolg: Denn nun haben drei Autoren die fast vergessenen Schätze des Düsseldorfer Chemikers und Fotografen, dessen Geburtstag sich jetzt zum 150. Mal jährt, in der Düsseldorfer Uni-Bibliothek gehoben. Die mehr als 300 Fotos ihres jüngst im Greven Verlag erschienen Bildbandes bieten die Gelegenheit, Erwin Quedenfeldt (1869-1948) ein Stück weit zu begleiten. Und wie das so ist mit alten Bildern: Nostalgiker mögen bei ihrem Anblick wissend nicken, Realisten unversöhnlich den Zahn der Zeit beklagen, und Aufschneider sich mit dem vermeintlichen Wiedererkennen all der Plätze, Giebel und Gassen auf mächtig dünnes Eis begeben. Denn selbst am Niederrhein, für manchen Wochenendgast ein Inbegriff des Zeitlosen, sind seit Quedenfeldts Spaziergängen und nach Modernisierung, Bombenkrieg und Wiederaufbau nur wenige Steine auf den anderen geblieben.

Die bereits zu seiner Zeit sichtbare Veränderung jedenfalls wird auch dem Fotografen nicht entgangen sein – umso prägnanter blendete er sie in seinen Perspektiven aus, als habe auch er sich bereits in die Pflicht des „Konservators“ gesehen. Nach einer Tätigkeit in der Fotochemie-Industrie gründete Quedenfeldt 1903 in Düsseldorf eine der ersten professionellen Fotoschulen, die schon 1904 in die Kunstgewerbeschule Düsseldorf (heute FB Design der Fachhochschule) unter Peter Behrens integriert wurde; Fachleuten gilt er somit als einer der ersten Kunstprofessoren der Fotografie in Deutschland.

Doch nicht nur passionierte Liebhaber von Schwarzweißfotografie und prinzipielle Bewahrer, auch die Protegés industrie- und autofreier Alltagswelten müssten an den Szenen ohne Schornsteine, Autos und Bahnstrecken selbst aus dem schon damals rasant pochenden Duisburg ihre Freude haben. Auch Düsseldorf wirkt wie eine verschlafene Kleinstadt mit Blumenmarkt und Kopfsteinpflaster, Wesel, Goch und Kleve sowieso. Allzu lange suchen musste Quedenfeldt in der niederländisch anmutenden Umgebung nicht. Treppengiebel, Fachwerk, Backstein und zierliche Türmchen drücken seinem Werk ihre Stempel auf. Ohnehin: Fassaden, Stadt- und Landschaftsbild gibt er eindeutig den Vorzug gegenüber Menschen, denen als spielende Kinder oder Marktfrauen eher Nebenrollen zukommen.

Dies unterscheidet ihn von dem wenige Jahrzehnte später wirkenden August Sander oder den apokalyptischen Nachkriegsszenen eines Hermann Claasen. Gleichwohl wirkt Quedenfeldt inmitten seiner gemäldehaften, ländlichen Idylle wie ein Mitbegründer jener ganz speziellen rheinischen Fotografie, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Maßstäbe gesetzt hat: als künstlerische Fotografie, stark in der Landschaftswahrnehmung und fernab der „Knipserei“.

Am Niederrhein. Fotografien von Erwin Quedenfeldt vor dem Ersten Weltkrieg. Herausgegeben von Helge Drafz, Reinhard Matz und Irmgard Siebert, 296 Seiten, 24 x 29 cm, 335 Abbildungen. Greven Verlag, 40 Euro.

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