Marokkanische Migranten in Düsseldorf Ein Viertel zwischen Razzia und Vorurteil

Köln/Düsseldorf · Seit der Silvesternacht sind nordafrikanische Männergruppen wieder verstärkt ins Blickfeld geraten. Die meisten Migranten aus Marokko leben in Nordrhein-Westfalen - zum Beispiel im Düsseldorfer "Maghreb-Viertel", das bei der Polizei als Kriminalitätsschwerpunkt gilt. Viele unbescholtene Bewohner fürchten nun, unter Generalverdacht gestellt zu werden.

Es sollte eine Demonstration der Sicherheit werden, und entsprechend groß war die Erleichterung über die weitestgehend gewaltfreie Silvesternacht. Nach den massenhaften sexuellen Übergriffen 2015/16 hatte sich die Erwartung verfestigt, dass die Polizei jegliche Zwischenfälle diesmal verhindern würde. Im Nachhinein zeigte sich, wie sehr die Polizei trotz Großaufgebots gefordert war. Seit fünf Tagen läuft nun die Aufarbeitung. Und viele offene Fragen deuten darauf hin, dass sie noch eine Weile dauern wird.

Vorläufige Bilanz:Erneut stiegen am Silvesterabend am Kölner Hauptbahnhof Scharen junger nordafrikanischer Männer aus den Zügen – jene Klientel also, der ein Großteil der Straftaten des Vorjahres zugerechnet worden war. Wie viele Personen es diesmal genau waren, bleibt unklar. Von 1000 jungen Männern aus „fahndungsrelevanter Klientel“ sprach die Kölner Polizei, die Zahl von 2000 nannte die Bundespolizei. Zeugen und Polizei berichteten, viele der Männer seien sehr aggressiv aufgetreten; Auch Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies sprach von einer „bedrohlichen Atmosphäre“ und von der zwischenzeitlichen Sorge, dass der Einsatz „kippen“ könne.

Konsequenz: Zusätzlich zu den bereits im Einsatz befindlichen 1500 Polizisten wurden kurzfristig zwei weitere Hundertschaften zur Verstärkung angefordert. Viele der Gruppen – zumeist 20 bis 30 Personen stark – waren zuvor von Zivilpolizisten bereits an Bahnhöfen im Ruhrgebiet beobachtet worden. Rund 800 Männer fuhren nach Düsseldorf. Der Burgplatz am Rhein, zu Silvester eigentlich stets ein belebter Platz, sei diesmal nahezu ausschließlich von jungen Nordafrikanern bevölkert gewesen, berichtet die „Rheinische Post“. Düsseldorfer, von der Polizei abgesehen, seien dem Ort ferngeblieben. Ähnliches ist aus den Polizeiberichten aus Essen oder Dortmund herauszulesen, wo in der Fußgängerzone aus einer Gruppe von rund 1000 Nordafrikanern und Syrern auch Böller auf Beamte geworfen worden seien.

Razzia im Nordafrikaner-Viertel von Düsseldorf
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Rätsel über die Motive: Die Frage, warum abermals so viele Männergruppen nach Köln kamen, beschäftigt jetzt ein Nachbereitungsteam der Polizei. Es bereite ihm Sorge, dass man darauf noch keine Antwort habe, sagt Polizeipräsident Mathies. Zwei Aspekte sind dabei von besonderem Interesse: Einerseits reisten die Gruppen aus allen Richtungen und teilweise sogar aus dem benachbarten Ausland wie Frankreich und der Schweiz an; andererseits wirft dies wie bereits im Vorjahr Spekulationen darüber auf, ob die Aktion verabredet war.

„Man muss schon davon ausgehen, dass es ein Statement gewesen ist“

„Man muss schon davon ausgehen, dass es ein Statement gewesen ist“, sagte zwar Dietmar Kneib, Inspektionsleiter Organisierte Kriminalität der Düsseldorfer Polizei. Zur Theorie, dass es gezielte Verabredungen über soziale Netzwerke gegeben haben könnte, äußern sich die verschiedenen Polizeibehörden aber widersprüchlich. Der Kölner Sozialwissenschaftler Mimoun Berrissoun vermutet sehr wohl „gelenkte Gruppen“ hinter den Ereignissen der Silvesternacht. „Ich denke, kein anständiger Asylbewerber, der vorher die Nachrichten verfolgt hat, würde an solch einem Abend mit dem Zug nach Köln fahren“, sagte er dem WDR.

Bei den von der Polizei beobachteten Intensivtätern seien zwei Gruppen zu unterscheiden: „Zum einen die Leute, die die Szene lenken – das sind Berufskriminelle, bei denen einige auch deutsch sprechen. Dann gibt es Mitläufer, die als geduldete Asylbewerber keine Perspektive haben und rekrutiert werden.“ Diesen Mitläufern müsse man unbedingt eine Option auf Integration eröffnen, da die kriminellen Netzwerke sonst durch Zulauf anderer Migranten immer weiter wüchsen. Berrissoun leitet selbst die Kölner Organisation „180-Grad-Wende“, die solche Wege aufzeigen will.

Nordafrikaner in NRW:Dass die Gruppen in Nordrhein-Westfalen besonders stark auffallen, hat einen Grund: Denn hier leben deutlich mehr nordafrikanische Einwanderungswillige als in anderen Bundesländern. Aus organisatorischen Gründen wird die Bearbeitung von Asylanträgen in einzelnen Bundesländern gebündelt. Der Schwerpunkt für NRW liegt bei den Ländern Marokko und Algerien. Allein im Jahr 2015 kamen zum Beispiel rund 24.000 Marokkaner und Algerier nach Deutschland, von denen laut Landesinnenministerium 13 244 nach NRW geschickt wurden. Im Februar 2016 setzte die Landesregierung dann einen Zuweisungsstopp durch und bestand auf der Anwendung des „Königsteiner Schlüssels“ – zu jenem Zeitpunkt lag der NRW-Anteil an den bundesweit registrierten marokkanischen Migranten bei 80-Prozent.

Parallel stellte ein BKA-Bericht den überproportionalen Anteil nordafrikanischer Straftäter in Kriminalitätsstatistiken heraus. Seit einem Jahr mehren sich überdies in den Medien Alarmrufe aus Gefängnissen zwischen Rhein und Weser wegen renitenter, zumeist junger „Problem-Häftlinge“ aus Nordafrika. Viele stehen zur Abschiebung an. Die aber gestaltet sich – auch mangels Kooperation der Heimatstaaten – schwierig.

Spurensuche: Mittwochabend, Düsseldorf, Stadtteil Oberbilk. „Klein-Marokko“ wird das Viertel hinter dem Bahnhof gern genannt. Das klingt charmant, verglichen mit dem Namen, der bei Behörden, Polizei und Medien viel öfter Verwendung findet: „Maghreb-Viertel“. Warum, das wird beim Schlendern über Lessing-, Linien- und Ellerstraße schnell klar. Zweifler erinnert ein abblätterndes „Fortuna“-Logo daran, in welcher Stadt man sich befindet. Doch die meisten Läden, Shisha-Bars und Casinos sind auf Arabisch beschriftet, aus dem „Nador-Markt“ riecht es nach Koriander und Urlaub, die Bäckereien heißen „Salam“, „Tanger“ oder „Casablanca“.

Rückzugsraum für zureisende Banden

Casablanca, dies war auch der Name der Sonderermittlungsgruppe der Düsseldorfer Polizei, deren Arbeit vor einem Jahr in einer sechsstündigen Razzia im Viertel gipfelte, an deren Ende 40 Verdächtige in Gewahrsam kamen. Denn „Klein-Marokko“ gilt nicht nur als größte nordafrikanische Kolonie in NRW, sondern auch als Rückzugsraum für zureisende Banden, die mit Taschen- und Gepäckdiebstahl, Drogen oder Raub in Verbindung stehen. Von 2500 organisierten Bandenmitgliedern im „Maghreb-Viertel“ spricht ein interner Bericht der „Casablanca“-Ermittler. Anwohner sagen, all das habe die ohnehin bestehenden Gräben weiter vertieft.

Schon vor der Razzia wurden in den Lokalmedien vermehrt die Stimmen Alteingesessener laut, die fürchten, aus ihrem Oberbilk könne bald ein „Molenbeek“ werden. Einer von rund 15.000 Marokkanern in der Landeshauptstadt ist Ahamad Habib, der sich eher als Düsseldorfer fühlt. Der 46-Jährige lebt hier seit vier Jahrzehnten und lässt den Arbeitstag auf dem Messegelände im Café „Riff“ ausklingen. Er macht sich Sorgen. „Ich habe Angst, dass Nordafrikaner jetzt unter Generalverdacht geraten“, sagt er. Aber er sehe sich auch in der Pflicht – „zu verhindern, dass junge Kriminelle jetzt alle Marokkaner in Verruf bringen“. Die meisten seien rechtschaffene Leute. Und die Banden, von denen die Polizei spricht? Ja, die gebe es, aber die meisten kämen von außerhalb. „Dahinten ist morgens so ein Treffpunkt“, sagt Habib, zeigt die Linienstraße hinunter und ergänzt: „Aber die gehören nicht zu uns.“

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