Apothekenangestellte war "Zufallsopfer" Video zeigt Brandanschlag im Kölner Hauptbahnhof

Köln · Die Kölner Polizei gab nach der Geiselnahme am Kölner Hauptbahnhof am Dienstag weitere Details bekannt. Der Täter ist ein anerkannter Flüchtling. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen. Ein Überwachungsvideo zeigt die erste Tat im McDonald's.

In einem Video einer Überwachungskamera des McDonald's am Kölner Hauptbahnhof, das ein GA-Reporter gesehen hat, ist erkennbar, wie der spätere Geiselnehmer Benzin aus einem Kanister spritzt und dann ein Streichholz entzündet und wirft. Das 14-jährige Mädchen, das dabei verletzt wurde, ist auf dem Video zu sehen, wie es in der Warteschlange am Tresen steht. Es wird von dem Benzinschwall getroffen. Eine andere Frau flüchtet in diesem Moment bereits aus dem Restaurant, kurz bevor es eine große Stichflamme gibt und weitere Menschen hinauslaufen.

Auf einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag berichtete der Kölner Kripo-Chef Klaus-Stephan Becker, dass die am Tatort am Kölner Hauptbahnhof gefundenen Ausweispapiere zweifelsfrei zum Geiselnehmer gehören. Bei dem Mann handle es sich demnach um einen 55-jährigen Syrer, der sich seit März 2015 in Deutschland aufhalte und als Asylberechtigter anerkannt sei. Er habe im Status eines Flüchtlings eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis bis Juni 2021. Insgesamt 13 Mal sei der Mann wegen "mittelschwerer Straftaten" kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten, darunter Drogenbesitz, Diebstahl, Bedrohung und Hausfriedensbruch. „Die Strafbarkeit führt nicht zu einer Ausreisepflicht, solange jemand als Flüchtling vom BAMF anerkannt ist“, teilte die Stadt Köln dazu mit. Psychisch sei der Mann nicht in der Lage gewesen zu arbeiten, hieß es weiter.

Der Mann sei mehrere Stunden lang operiert worden und außer Lebensgefahr. Er liege nun im Koma. Auch das 14-jährige Mädchen, das durch den Angriff des Täters schwere Brandverletzungen erlitt, musste am Dienstag operiert werden. Die Geisel, eine Apothekenangestellte, die in der Apotheke festgehalten worden war, soll noch im Laufe des Tages aus dem Krankenhaus entlassen werden. Sie sei, so Becker, vermutlich ein "Zufallsopfer" gewesen. Der eigentliche Plan des Täters sei es demnach gewesen, bei McDonald's einen Brand zu legen. Er hatte einen Molotowcocktail in das Schnellrestaurant geworfen, dabei war ein 14-jähriges Mädchen schwer verletzt worden. Bei der Waffe, die der Täter dabei hatte, handle es sich um eine "täuschend echte Softair-Pistole".

Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen mittlerweile übernommen. Das bestätigte eine Sprecherin der Behörde dem SWR. Der Generalbundesanwalt sehe eine "besondere Bedeutung" des Falls. Außerdem gebe es Hinweise auf eine mögliche radikal-islamistische Einstellung des Tatverdächtigen.

Die Polizei werte nun umfangreiches Videomaterial vom Bahnhof und aus dem ÖPNV aus. Es soll unter anderem geklärt werde, wie der Täter zum Hauptbahnhof anreiste und ob es Mittäter gab. Darauf gebe es bislang keine Hinweise. Der Mann habe beachtliche Mengen von Benzin und Gas bei sich gehabt, zudem seien in seiner Wohnung weitere Mengen von Benzin gefunden worden. Zudem seien verschiedene Datenträger und zwei Handys sichergestellt worden, die nun ausgewertet werden sollen, um Näheres zum Motiv des Täters herauszufinden. An den Wänden der Wohnung seien arabische Schriftzeichen zu lesen gewesen, die zwar einen "intensiven muslimischen Bezug, jedoch kein schriftliches Bekenntnis zum IS" beinhalteten.

Dass der Mann sich zum IS bekannt haben soll, entnehmen die Ermittler Zeugenaussagen. „Im Zusammenhang mit dem Betreten der Apotheke soll er Passanten zufolge auch gerufen haben, dass er zur Terrorgruppe Daesh gehört“, hatte Einsatzleiter Klaus Rüschenschmidt am Montagabend gesagt. „Daesh“ ist der arabische Name für die Terrormiliz Islamischer Staat. Die Polizei wollte am Dienstag noch nicht sagen, ob sie weitere Hinweise darauf hat, dass der Täter als islamistischer Extremist zu betrachten ist. Gegen den Täter wurde durch die Kölner Staatsanwaltschaft ein Haftbefehl erlassen.

Täter saß in Syrien im Gefängnis

Nach bisherigen Erkenntnissen hat der Mann zwei Angehörige, einen in Frankfurt lebenden Sohn und seine Ehefrau, die noch in Syrien lebt und bereits zwei Mal einen Antrag auf Familiennachzug nach Deutschland gestellt haben soll, der jeweils abgelehnt wurde. Die Polizei bestätigte, dass der Mann in Syrien im Gefängnis gesessen hatte. Dass der Mann, wie verschiedene Medien berichteten, psychisch erkrankt war, werde geprüft, könne aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigt werden. Auch dazu, ob der Mann in Syrien gefoltert wurde, gebe es keine Erkenntnisse. Allerdings sei er nicht in der Lage gewesen, in Deutschland einer Arbeit nachzugehen, vermutlich aus psychischen Gründen.

Die Polizei hat bei der Durchsuchung der Wohnung des Kölner Geiselnehmers in einer Flüchtlingsunterkunft im Kölner Stadtteil Neuehrenfeld Beweismaterial sichergestellt. Das teilte ein Polizeisprecher am Dienstag mit. Nach der Geiselnahme am Montag im Kölner Hauptbahnhof prüft die Polizei einen terroristischen Hintergrund. Der schwer verletzte Täter war am Dienstag noch in Lebensgefahr und wurde auf der Intensivstation behandelt. Er war von einem Spezialeinsatzkommando angeschossen worden und musste anschließend reanimiert werden.

Die Polizei hat am Dienstag ein Hinweistelefon eingerichtet (siehe unten). Unter der Nummer 0221/229-4444 sollen Hinweise zum Täter, zu dessen Tatvorbereitungen sowie zum Tatablauf abgegeben werden. Laut einer Mitteilung vom Dienstagmittag machte der Geiselnehmer vor der Tat einen verwahrlosten Eindruck und soll "wahrnehmbar alkoholisiert" gewesen sein. Er soll in Neuehrenfeld wohnen und dort möglicherweise an einer Tankstelle Benzin gekauft haben. Er soll eine Tasche und einen Koffer dabei gehabt haben, von denen die Polizei Fotos veröffentlichte.

Nach Informationen des General-Anzeigers liegt der Geiselnehmer in künstlichem Koma und wird im Krankenhaus von Polizisten bewacht. Er hatte bei dem Einsatz drei Schüsse abbekommen, die Kugeln trafen ihn an der Schulter, am Becken und am Bauch. Er lebt in einem Mehrfamilienhaus in Köln. Seinen Sohn, der in Frankfurt lebt, besuchten und befragten die Ermittler noch am Montagabend.

Zeugen sollen Fotos und Videos hochladen

Der 55-Jährige Geiselnehmer hatte am Montag in einem Café im Bahnhof einen Molotowcocktail gezündet und sich dann mit einer Geisel in einer Apotheke verschanzt. Ein Spezialeinsatzkommando stürmte das Geschäft. Der Tatort am Hauptbahnhof war auch am Dienstag weiterhin abgesperrt. Dort sind am Dienstagvormittag Spurensicherer und Mitarbeiter des Staatsschutzes vor Ort. Die Apotheke und der McDonald's sind geschlossen, der Bahnhof ist über einen Nebeneingang am Breslauer Platz weiterhin betretbar.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul äußerte sich am Dienstag „sehr bestürzt“ über das Geschehen. „Die Polizei hat durch ihr konsequentes und professionelles Einschreiten Schlimmeres verhindern können“, sagte der CDU-Politiker in Düsseldorf. „Derzeit wird mit Hochdruck ermittelt, um die Hintergründe der Tat schnellstmöglich aufzuklären.“

Über den Kurznachrichtendienst Twitter rief die Kölner Polizei Zeugen dazu auf, Fotos und Videos hochzuladen, die in möglichem Zusammenhang mit der Tat stehen könnten.

Die Apothekenangestellte, die der Täter als Geisel genommen und mit Benzin übergossen hatte, erlitt einen Schock. Während der Befreiungsaktion der Polizei versuchte der Geiselnehmer den Angaben zufolge, die Frau anzuzünden. Der Mann hatte Gaskartuschen und Brandbeschleuniger bei sich, außerdem die Waffenattrappe.

Die Deutsche Bahn erwartete für Dienstag keine gravierenden Auswirkungen mehr für Bahnreisende. Der Kölner Hauptbahnhof gehört zu den meistfrequentierten Verkehrsknotenpunkten in Deutschland.

(mit Material von dpa)

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