GA-Serie "Köln auf Schritt und Tritt" Die Keupstraße ist Kölns "Klein-Istanbul"

Köln · Wer keine Lust hat auf eine Hochzeit in klassischem Weiß, kommt in die Keupstraße. In „Klein-Istanbul“ gibt es neben bunten Kleidern auch allerhand Schmuck und türkische Köstlichkeiten.

Selins grünes Kleid sitzt eng an ihrem Körper. „Die Farbe ist gerade angesagt“, sagt die Verkäuferin aufmunternd, als sich die Braut vor dem Spiegel dreht. Wenn Yasemin Calisir ein Hochzeitskleid verkauft, ist sie hochkonzentriert. „Nicht nur die Braut, auch ihre Mutter und die Verwandten brauchen meine volle Aufmerksamkeit“, sagt die Inhaberin des Brautmodenladens Yassay auf der Kölner Keupstraße. Es ist Nachmittag, ihr Geschäft ist voll. Selin, die 24-jährige Deutschtürkin, ist schon zum zweiten Mal hier – für letzte Korrekturen. Ein Grinsen auf ihrem Gesicht verrät, wie aufgeregt sie ist. „Davon träume ich schon, seit ich ein Kind bin“, sagt Selin.

Mitunter fahren sogar Kunden aus Belgien zweihundert Kilometer weit, um ausgerechnet in Köln-Mülheim das passende Outfit zu finden. Das weiß auch Meral Sahin, die ein Geschäft für Hochzeitsdeko leitet. Seit 15 Jahren schon verkauft sie hier Brautsträuße, rosa Herzkissen und Kunstblumen-Körbe – alles für das perfekte Fest. „In den vergangenen Jahren haben viele Hochzeitsgeschäfte ihre Türen geöffnet“, sagt Sahin. Die 47-jährige Unternehmerin beobachtet die Entwicklung der Keupstraße schon lange. 2006 wählten sie die Mitglieder der „Interessengemeinschaft Keupstraße“ zur zweiten Vorsitzenden, seit 2013 leitet sie den Verein. Die IG setzt sich seit 1978 für die Belange der Bewohner und Geschäftsleute ein.

Längst ist die Keupstraße über Kölns Grenzen hinaus berühmt. Spitzname: „Klein-Istanbul“. Die 800 Meter stehen für türkisches und kurdisches Geschäftsleben durch und durch. Für den vielleicht besten Döner der Stadt, süßes Baklava-Gebäck und Teestuben, in denen Männer über Politik diskutieren. Doch seit dem 9. Juni 2004 prägt etwas Schlimmes die Wahrnehmung: ein Nagelbomben-Anschlag, der 22 Menschen zum Teil schwer verletzt hat. Nach dem Attentat stand die Keupstraße erst einmal still.

Viele Jahre spekulierten Bewohner und Polizei über mögliche Täter. Es kam zu wilden Gerüchten und schlechter Stimmung, das Misstrauen wuchs. Manche mutmaßten, Migranten könnten in Streit geraten sein. Bis im November 2011 bekannt wurde, dass die Rechtsterroristen des NSU die Bombe gezündet hatten. „Seitdem sind die Bewohner wieder zusammengerückt“, sagt Meral Sahin. Nach dem Attentat habe sie alles dafür getan, dass Normalität einkehrt. Und dafür, dass gerade das Hochzeitsgeschäft wächst. Diese Läden hätten einen positiven Effekt. „Früher habe ich nur Männer gesehen, heute gehen auch verstärkt Frauen auf die Straße oder unterhalten sich in Restaurants. Das ist toll“, erklärt die Unternehmerin.

20 Prozent der Geschäfte von Frauen geleitet

Ein Ausdruck wachsender Emanzipation: Schon 20 Prozent der Keupstraßen-Geschäfte würden von Frauen geleitet, in weiteren 20 Prozent seien Frauen Mitinhaberinnen oder würden leitende Positionen wahrnehmen, schätzt die Geschäftsfrau. Vieles drehe sich inzwischen um das Thema Hochzeit auf der Keupstraße. Sahin will sich dabei nicht auf die türkische Kundschaft reduzieren lassen: „Jeder denkt, ich plane nur türkische Hochzeiten. Aber ich betreue auch indische, afghanische und deutsche Paare.“

In sechs Brautmodengeschäften und bei 13 Juwelieren können Paare für den schönsten Tag ihres Lebens einkaufen. Jeder Juwelier bietet Ringe in einem anderen Stil an. Es gibt ein Geschäft für Hochzeitskarten und verschiedene Konditoreien, die Torten ins Schaufenster stellen. Auf einer steht, nicht ganz ohne Humor, ein Brautpaar mit der Unterschrift: „The Walking Dead“. „Als ich die Torte gesehen habe, musste ich schon lachen“, sagt die baldige Braut Selin.

Zwar sei eine türkische Hochzeit kein Horrortrip, allerdings müssten die Liebenden schon einige Hürden überwinden. Zum Beispiel muss der Bräutigam den ekligsten Kaffee trinken, den seine zukünftige Frau zubereiten kann. „Das ist eine türkische Tradition. Wenn der Mann es schafft, den auszutrinken, gilt das als Zeichen der Liebe“, sagt die Verlobte.

Grüner Glitzertraum

Wenn türkischstämmige Frauen heiraten, mögen sie es pompös. Lieber als im schlichten Weiß geben sie ihrem Liebsten in Glitzersteinen und knalligen Farben das Jawort. Hochzeitsmodenverkäuferin Calisir bietet seit 2012 Kleider in gelb, pink, rot und blau, oft mit auffallender Schmuckdekoration. „Türkische Kunden sind anspruchsvoll. Es kam auch schon vor, dass ich ein Kleid fünfmal ändern musste“, sagt die Ladenbesitzerin.

Selin kommt heute schon zu ihrem grünen Glitzertraum. Das Preisschild sagt: 1000 Euro. Die Kosten tragen die Schwiegereltern, daher müssen auch die mit der Wahl zufrieden sein. „Die Mutter meines Verlobten war das erste Mal beim Aussuchen dabei“, sagt Selin. Insgesamt, sagt Calisir, müsse man für eine standesgemäße Hochzeit mindestens 30 000 Euro ausgeben. Es brauche freilich weitere Kleider: eines für die offizielle Verlobung und eines für den Henna-Abend, eine Art Junggesellinnenabend. Tradition ist es auch, dass der Mann die Hochzeitstorte mit einem türkischen Säbel anschneidet. Oft sehen bis zu tausend Gäste dabei zu, wenn sich das Paar bei türkischer Livemusik die Ringe übergibt und der Mann die Frau auf die Stirn küsst – das entscheidende Zeichen. Das Fest der Liebe, es ist in der Keupstraße auch eine Frage des Prestiges.

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