Ein Club für alle Fälle Das Kölner Gloria-Theater feiert sechs Jahrzehnte

Köln · Das Gloria in der Apostelnstraße 11 zählt zu den originellsten und erfolgreichsten Bühnen von Köln. Die Betreiber haben erstmals die turbulente Geschichte des Hauses dokumentiert und feiern sechs Jahrzehnte Kulturleben mitten in der Stadt.

 Gloria: 60 Jahre Kultur in der Kölner Apostelnstraße

Gloria: 60 Jahre Kultur in der Kölner Apostelnstraße

Foto: Wolfgang Wilms

Alles hat seine Ordnung im Köln des Jahres 1962. Der Amtmann Rudolph von der städtischen Vergnügungssteuerstelle bearbeitet am 22. Januar eine Auflistung, die ihm vom Kino Gloria in der Apostelnstraße 11 eingereicht wurde. Vermerkt sind die Besucherzahlen des Films „Frühstück bei Tiffany“ mit Audrey Hepburn im Zeitraum 12. bis 18. Januar.

Das Gloria ordnet seine Tarife in sechs Preisklassen von 1,80 Mark bis 3,50 Mark pro Kinokarte. In den Reihen 5 bis 8 beispielsweise sind 2,30 Mark fällig, bei 1235 verkauften Karten macht das 2840,50 Mark Umsatz in der erfassten Woche. Für alle 25 Stuhlreihen wurden 7609 von 7683 Karten verkauft – und 20.752 Mark umgesetzt. Rudolph drückt seinen Stempel aufs Blatt: „Rechnerisch richtig“.

Claudia Wedell (41) hat das Schriftstück im Kölner Stadtarchiv entdeckt. Sie ist Betriebsleiterin im heutigen Gloria, Michael Zscharnack (47) führt die Geschäfte. Anlass der Recherche: ein Jubiläum. Vor sechs Jahrzehnten, am 30. November 1956, wurde das Gloria Lichtspieltheater offiziell eröffnet, dieser Umstand wird 2017 ganzjährig gefeiert. Am 1. September richten Wedell und Zscharnack eine Gala mit Künstlern des Hauses und prominenten Gästen aus.

Das Gloria ist bekannt für seine Vielseitigkeit

Die Theaterleiter begrüßen den Reporter aus Bonn im Foyer, wo ein historisches Kassenhäuschen, Nierentische und freigelegte Glasbausteine an alte Zeiten erinnern. Alles Originale. Wedell und Zscharnack sind noch etwas gezeichnet von einigen Konzerten des Festivals c/o pop in den vergangenen Tagen. Jetzt wird ein bisschen umgebaut, der Laden macht sich hübsch für die neue Spielzeit.

Das Gloria zählt heute zu den erfolgreichsten Bühnen der Domstadt. Knapp 900 Besucher fasst der Saal, die kulturelle Konfiguration reicht von Comedy und Livemusik bis Party und Literatur. Und die Schlagzahl ist enorm: 23 Termine sind es im September, 42 im Oktober. Das Gloria untermauert mit dieser verlässlichen Vielfalt seinen Ruf als kreative Keimzelle und Kultstätte. Ob früher die Popkomm oder heute c/o pop: Der Club mischt mit. Auch das Köln Comedy Festival hat hier ein Zuhause. „Wir bedienen jeden Tag eine andere Zielgruppe“, sagt Zscharnack.

Doch am Anfang war das Kino. Als erster Streifen lief im November 1956 der Heimatfilm „Verlobung am Wolfgangsee“. Publikum und Presse reagierten begeistert – vor allem auf „600 Polstersitze“ und „37 Einstellplätze“. Bemerkenswert: Das Gloria trat seinerzeit in Konkurrenz zu exakt 80 anderen Kinos in Köln. Man spielte US-Klassiker wie „Manche mögen’s heiß“ und „Das Appartement“. Am 7. März 1969 gab sich Oswalt Kolle die Ehre mit „Deine Frau – das unbekannte Wesen“.

Ein richtungsweisender Moment: Dank einer Gesetzesänderung dürfen ab 1974 auch Pornofilme öffentlich gezeigt werden. Die Filme werden härter, auch Kölns Porno-Produzent Mike Hunter platziert seine Erzeugnisse regelmäßig im Gloria.

„Das karrieregeile Superweib“ markiert 1986 das Ende dieser Ära. Betreiberwechsel. Das Gloria avanciert zur Partyhochburg, erst für alle, dann eher für die Schwulen und Lesben der Stadt. Ralf König zeigt sein „Kondom des Grauens“ als Puppenspiel. Sönke Wortmann dreht hier 1994 einige Szenen für „Der bewegte Mann“. Fünf Jahre später dient der Club als Kulisse in der „Tatort“-Folge „Die Frau im Zug“ mit den Kölner Kommissaren Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt.

Viele Große des Showgeschäfts geben sich im Gloria die Klinke in die Hand

In den 90er Jahren keimt in Köln die Comedy-Szene auf, das Gloria ist ein Epizentrum des neuen deutschen Humors. Atze Schröder, Mario Barth, Missfits und Springmäuse treiben hier ihre Späße. Dann kommt der Karneval: 1995 feiert die Rosa Sitzung ihre Premiere im Haus.

Ein Hochamt der Popgeschichte erlebt das Gloria im Juni 2005. Ein Radiosender lädt handverlesenes Publikum zu einem Geheimkonzert ins Gloria. Man ahnt, wer spielt, aber offiziell ist nichts. Auf der Bühne: Nebel. Bass, Drums und Gitarre sind bereits besetzt, dann steigt Chris Martin durch die Schwaden, setzt sich ans Klavier und intoniert „Square One“, das erste Stück eines neuen Albums, das noch keiner kennt: Mit „X & Y“ setzt Coldplay in der Folgezeit gut 17 Millionen Exemplare um.

Diese „Showcases“, bei denen große Bands ihr neues Material in kleinem Rahmen testen, kommen immer mehr in Mode. Das Gloria ist Gastgeber von Oasis, Pink, Foo Fighters und den Toten Hosen. „Robbie Williams mussten wir leider ablehnen, weil wir keinen Termin mehr frei hatten”, sagt Claudia Wedell.

Zum Erfolgsrezept des Hauses gehört die flexible Ausrichtung der Aktivitäten. Wedell und Zscharnack veranstalten im eigenen Club, aber auch auf anderen Bühnen – etwa die Comedy-Reihe „Zum Lachen in den Keller“ im Subway. Oder sie vermieten ihre Bühne für Fremdproduktionen. Der Bonner Veranstalter Ernst-Ludwig Hartz (Kunst!Rasen) hat im Gloria Konzerte mit Joe Jackson, Fisher-Z und den Mavericks organisiert, für den 23. Oktober hat er die Blues-Legende Jonny Lang auf dem Zettel. „Im Gloria stimmt einfach alles – Akustik, Technik, nette Mitarbeiter, tolles Publikum“, sagt Hartz.

Auch die Künstler geraten ins Schwärmen: „Meine erste TV-Aufzeichnung als Kabarettist und mein erstes Konzert als Musiker fanden hier statt“, sagt der Bonner Comedian Dave Davis. „Die bewegte Historie, der Weltklasse-Sound und der optisch unverwechselbare Charme machen das Gloria einmalig.“

Köln hält für jeden Künstler die passende Bühne parat

Die Betreiber pflegen darüber hinaus ein filigranes Netzwerk. Man ist Mitglied der Klubkomm, dem Interessenverband der Kölner Clubs und Veranstalter. „60 Mitglieder ziehen an einem Strang“ sagt Zscharnack. Bei Verhandlungen mit Politik und Verwaltung will man geschlossen auftreten. Ganz wichtig sei auch die Außenwirkung: Überregionale Agenturen und Tourneeveranstalter sollen wissen, dass Köln für jeden Künstler die passende Bühne parat hat.

Fernab vom vielbesungenen Klüngel treibt dieses kölsche Miteinander mitunter kuriose Blüten. So spielte die beliebte Kölner Band Kasalla fünf ausverkaufte Konzerte im Gloria, danach zwei in der riesigen Lanxess Arena – und kehrt im Dezember zurück für fünf weitere Shows in der Apostelnstraße.

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