Interview mit Parlamentspräsident André Kuper: "Klima im Landtag hat sich verändert“

Düsseldorf · Landtagspräsident André Kuper möchte die Demokratie in NRW stärken. Im Interview spricht er darüber, wie das funktionieren soll, über das Grundgesetz, die Europawahl sowie die Emotionalität im Landtag.

 Möchte mit verschiedenen Aktionen den Wert der Demokratie hervorheben: Landtagspräsident André Kuper im GA-Interview.

Möchte mit verschiedenen Aktionen den Wert der Demokratie hervorheben: Landtagspräsident André Kuper im GA-Interview.

Foto: Dennis Sennekamp

Es gibt aktuell verschiedene Aktionen, um die Bürger mehr in den Landtag zu bringen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

André Kuper: Wer die Entwicklungen der Welt sieht, wird feststellen, dass Demokratie zwar häufig in Sonntagsreden vorkommt, aber gar nicht mehr so selbstverständlich ist, wie viele das meinen. Daher ist es wichtig, auch im Hinblick auf die Entwicklung von nationalistischen und extremistischen Tendenzen in Deutschland, den Wert der Demokratie in den Mittelpunkt zu stellen. Eine Demokratie lebt nur dann, wenn es Demokraten gibt. Deshalb brauchen wir insbesondere Informationen und einen Kontakt zu den jungen Menschen in unserem Land. Ich denke, dass das auch die richtige Antwort auf die aktuellen Demonstrationen ist, die es beispielsweise mit „Fridays for Future“ gibt.

Wie setzt der Landtag dieses Vorhaben um?

Kuper: Wir haben seit Mitte 2017 verschiedene Formate aufgelegt. Einmal haben wir die Besucherprogramme für Schüler intensiviert. Mit „Präsidium macht Schule“ wollen wir noch mehr in Kontakt mit jungen Menschen kommen. Dazu gehen wir vom Präsidium in Schulen, um uns den Fragen der Schüler zu stellen. Wir sind also nicht nur hier im Parlament, wir sind auch vor Ort. Darüber hinaus öffnen wir mit dem Format „Landtag macht Schule“ den Landtag an sitzungsfreien Tagen komplett für Schüler und laden in Kooperation mit dem Flüchtlingsministerium und den Kommunalen Integrationszentren zu uns gekommene Flüchtlinge in die „Demokratieschule“ ein. Bei Bürgerempfängen geben wir die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen des Landtags zu werfen und anschließend den Dialog mit uns im Präsidium zu suchen. Wir wollen auf die Bürger zugehen, wir wollen sie motivieren mitzumachen.

Kann auf diese Weise die Demokratie in NRW gestärkt werden?

Kuper: Das denke ich schon. Das ist ein analoges Format, auch wenn wir damit natürlich nicht alle 18 Millionen Nordrhein-Westfalen erreichen. Aber wir erreichen doch an vielen Stellen und in vielen Orten unseres Landes Menschen und die wirken wiederum als Multiplikatoren. Man kann das nicht kurzfristig messen, heute und morgen, aber übermorgen wird man es spüren können.

Der Landtag ist seit diesem Monat bei Instagram und Twitter vertreten. Welche Rolle spielt die Öffentlichkeitsarbeit für den Landtag?

Kuper: Ich glaube, dass es eine zunehmend maßgebliche Rolle spielt. 199 Abgeordnete können nicht zeitgleich mit 18 Millionen Nordrhein-Westfalen reden. Und von daher ist dieser Bereich eine Chance, auf den Landtag aufmerksam zu machen und über das zu informieren, was hier passiert. Wir haben uns darüber Gedanken gemacht, wie wir die Menschen unterschiedlicher Generationen erreichen können. Und wir wollen natürlich auch diejenigen erreichen, die in diesen Medien aktiv sind.

Welchen Stellenwert hat der Geburtstag „70 Jahre Grundgesetz“ für den Landtag NRW?

Kuper: Für den Landtag NRW ist der Geburtstag sehr wichtig. Das Grundgesetz wurde ja maßgeblich von Delegierten der Bundesländer im Parlamentarischen Rat auf den Weg gebracht. Wenn man beispielsweise den Präsidenten des Parlamentarischen Rates nimmt, Konrad Adenauer: Auch der ist hier von Düsseldorf aus auf den Weg gegangen. NRW hat also maßgeblich dazu beigetragen, das Grundgesetz in der Art und Weise so auszugestalten. Aus den schlechten Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Diktatur heraus haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine sehr gute und sehr weitreichende Entscheidung getroffen, die Macht eben nicht an einer Stelle in Deutschland zu konzentrieren, sondern zu verteilen.

Zurück zu Ihrer Arbeit hier im Plenum. Wie sieht Ihre Arbeit als „Schiedsrichter“ im Landtag aus? Welche Herausforderungen ergeben sich da?

Kuper: Sie haben das ganz gut auf den Punkt gebracht. Es ist die Rolle und Funktion des Schiedsrichters und diesen Vergleich mit dem Fußball nehmen wir auch immer vor. Wir haben im Fußball den Schiedsrichter, der hat das Instrumentarium der Gelben und Roten Karten. Er hat die entsprechende Möglichkeit, dort einzuschreiten. So ähnlich ist das bei uns auch, wenn die Spielregeln im Parlament nicht mehr eingehalten werden. Wenn zum Beispiel persönliche Beleidigungen stattfinden oder Straftatbestände artikuliert werden, dann können wir mit Ordnungsmaßnahmen einschreiten. Hier gibt es Eskalationsstufen, zum Beispiel Ermahnungen, Rügen oder tatsächlich auch Ordnungsrufe. Und da ist die Rolle des Schiedsrichters gefragt, immer wieder.

Hat sich die Emotionalität im Landtag verändert?

Kuper: Es gibt einen Indikator, der das bestätigt, und zwar die Anzahl der Rügen. In der vergangenen Legislaturperiode hatten wir zwölf, in der Periode davor neun Rügen und in der derzeitigen Periode sind wir nach zwei Jahren schon bei Rüge Nummer 38. Das zeigt also, dass sich das Klima im Landtag schon ein wenig verändert hat.

Werden die Rügen immer an dieselben Abgeordneten verteilt?

Kuper: Bei allen 38 Ermahnungen, Rügen und Ordnungsrufen gehen etwa 25 auf das Konto der AfD und der Rest verteilt sich. In dem Zusammenhang gibt es manchmal auch Kollateralschäden: Der eine provoziert den anderen mit einem rügewürdigen Begriff, der andere ist nervlich so getroffen, dass er sofort mit einem Gegenschimpfwort antwortet und dann eskaliert das manchmal und so haben wir in der Folge dann beide Seiten zu rügen.

Ein Blick in die Zukunft: Was bedeutet die anstehende Europawahl für Nordrhein-Westfalen?

Kuper: Gerade für uns in NRW ist die Europawahl extrem wichtig. Auch da gilt es, über die Selbstverständlichkeit Europas noch einmal nachzudenken. Wir haben seit 70 Jahren Frieden in Deutschland. Noch nie gab es eine so lange Friedensperiode. Von daher hat Europa aus meiner Sicht sein Hauptziel erreicht. Gerade die Diskussion um den Brexit zeigt auch, welche Chancen Europa bietet und was sich ändern würde, wenn wir Europa nicht hätten. Das dürfte die Sensibilität der Menschen gerade in unserem Bundesland besonders treffen, weil wir die direkte Nachbarschaft zu Holland und Belgien haben. Ich kann rüberfahren, ich muss kein Geld tauschen, brauche nicht an der Grenze stehen. Von daher ist es noch einmal mehr denn je wert, für dieses Europa auch zur Wahl zu gehen und dementsprechend europafreundlich zu wählen.

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