Organspenden in Deutschland 800 Menschen in Deutschland warten auf ein Spenderherz

DÜSSELDORF · Rund 800 schwerherzkranke Menschen warten in Deutschland auf das richtige Spenderherz. Die Zahl der Organspenden lag im vergangenen Jahr allerdings auf einem neuen Tiefstwert.

Edzard Kruse wartet seit Monaten und macht das Beste draus. Er liest viel, hört Musik, ab und zu geht er in der Cafeteria der Uniklinik Düsseldorf einen Kaffee trinken. Zweimal am Tag fährt er in seinem Zimmer auf dem Ergometer zehn bis 15 Minuten Rad. „Damit ich so fit wie möglich bin“, sagt er. Für den Tag X, den Tag der Transplantation.

Der schwer herzkranke (terminale Herzinsuffizienz) 52-Jährige wartet auf ein Spenderorgan. Damit sein Herz immer weiter schlägt, wurde ein technisches Unterstützungssystem neben die linke Herzkammer eingepflanzt. Dessen Akkus müssen alle 15 Stunden gewechselt werden. Kruses Leben ist zurzeit auf das Krankenhaus begrenzt. Verlassen darf er es nicht. Aus gesundheitlichen Gründen, aber auch, damit er sofort greifbar ist, sollte es eines Tages ein Organ für ihn geben. „Hier bin ich sicher, gut versorgt und am Platz, – meinetwegen könnte es sofort losgehen.“

Kruse ist schon den dritten Monat in der Klinik. Er ist bei Eurotransplant, zuständig für die Organvergabe in Europa, wegen einer schwerwiegenden Komplikation mit seinem Kunstherz als hoch dringlich gelistet. Und nur diese Patienten haben meist überhaupt nur die Chance, ein Spenderherz zu bekommen. „Im vergangenen Jahr wurden in ganz Deutschland 255 Herzen transplantiert – 90 Prozent gingen an hoch dringliche Patienten“, sagt Udo Boeken, Herzchirurg und chirurgischer Leiter des Transplantationsprogramms der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie.

Vielfältige Gründe für Organmangel

Edzard Kruse steht mit rund 800 anderen Schwerkranken auf der deutschen Liste. Denn in Deutschland gibt es zu wenig Organe. Die Zahl der Organspenden ist 2017 auf einen neuen Tiefstwert gefallen. Dabei stehen laut Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 81 Prozent der Bundesbürger der Organspende positiv gegenüber. Die Zahl der Menschen, die eine Entscheidung zur Organspende dokumentiert haben, ist sogar von 22 Prozent (2012) auf 36 Prozent gestiegen. Laut dem Netzwerk Organspende gab es im vergangenen Jahr in NRW aber nur 146 Organspender.

Edzard Kruse hat Blutgruppe 0. Die Wartezeit für ein Spenderherz liege deshalb bei etwa einem Jahr, erklärt Boeken. Ein Patient mit der Blutgruppe A warte etwa vier Monate, denn sein Blut sei mit 0 kompatibel. Blutgruppe 0 könne aber nur 0 bekommen. Das schränkt die Zahl der Spenderorgane zusätzlich ein.

Nüchtern betrachtet Kruse die Transplantation. „Das Herz ist ein Muskel, es macht nicht die Seele oder das Wesen eines Menschen aus.“ Bekommt er ein Herz, bedeutet das auch, dass ein anderer Mensch gestorben ist. Wenn sein Herz nicht schlägt, versetzt ihm der kleine Defibrillator in der Brust einen Schlag. „Das ist für mich immer sehr bedrohlich.“ In diesen Momenten, in denen er bangt, dass sein Herz wieder zu schlagen beginnt, spürt er Todesangst.

Verunsicherte Angehörige

Die Gründe für den Organmangel in Deutschland sind vielfältig. Skandale um die Vergabe von Organen haben 2012 die Transplantationsmedizin erschüttert. Doch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) merkt an, dass der Rückgang schon vorher einsetzte. Eine Ursache ist zum Beispiel die verbesserte medizinische Versorgung von Unfallopfern. „Heute liegt deren Anteil unter den Spendern nur noch bei 15 Prozent“, sagt Katrin Ivens, Transplantationsbeauftragte der Uniklinik.

2012 hat der Bundestag die Krankenkassen verpflichtet, alle Bürger in regelmäßigen Abständen über die Organspende zu informieren und an sie zu appellieren, sich für oder gegen eine Spende zu entscheiden. Die Praxis zeigt aber: Viele werfen den Brief wohl ungelesen weg, und die Angehörigen geben ihre Zustimmung nicht, weil sie verunsichert sind. Auch manche Patientenverfügungen verhindern eine Organspende, denn wenn lebensverlängernde Maßnahmen ausgeschlossen werden, gilt das auch für die Zeit, die ein möglicher Organspender noch am Leben gehalten werden müsste.

Seit 2015 muss einer von zwei Fachärzten, die unabhängig voneinander den irreversiblen Hirnfunktionausfall feststellen, ein erfahrener Neurologe oder Neurochirurg sein. Vor allem in kleineren Krankenhäusern gebe es diese Fachärzte aber gar nicht, erklärt Boeken.

Ein Leben aus Hoffen und Warten

Derzeit gibt es in Deutschland rund 1350 Krankenhäuser mit Intensivstation, die Organe entnehmen dürfen. Sie sind seit 2012 verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestellen. Sie sollen potenzielle Organspender erkennen und melden, Personal schulen und die Angehörigen begleiten.

Ivens und Boeken setzen auch auf eine neue gesetzliche Regelung. Andere Länder wie Spanien, Belgien oder Österreich haben die Widerspruchslösung – Deutschland bislang nicht. Dabei gilt: Hat der Verstorbene einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, können Organe zur Transplantation entnommen werden. Dadurch vergrößert sich der Kreis potenzieller Spender.

Aus Hoffen und Warten besteht Edzard Kruses Leben. „Wenn ein Hubschrauber hier landet, denke ich manchmal: Vielleicht ist das jetzt das Herz für mich“, sagt Kruse. Er weiß, dass es an diesem Tag X, der sein Leben wieder normaler und gesünder machen soll, anders sein wird. „Wenn ein Hubschrauber mit einem Herz für Herrn Kruse hier in Düsseldorf ankommen würde, läge der bereits im Operationssaal“, sagt Boeken. Denn bei einer Transplantation muss es schnell gehen – maximal vier Stunden sollen zwischen Organentnahme und -einbau vergehen.

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