Buchvorstellung Gisela Ries dokumentiert das Leben der Familie Fassbender

REMAGEN · Sie wollte eigenen Familien-Wurzeln nachgehen, stieß dabei aber immer wieder auf Moritz Fassbender. Auf Fotos sah sie den jüdischen Lederwarenhändler umgeben von Turnern oder Feuerwehrleuten.

 Ihre Broschüre stellt Gisela Ries vor.

Ihre Broschüre stellt Gisela Ries vor.

Foto: Martin Gausmann

Gezieltes Nachfragen bei Remagener und Erpeler Bürgern rief dann Erinnerungen wach an einen wohlhabenden, großzügigen, sozial eingestellten Mann, der entsprechend beliebt und geachtet war.

Gisela Ries, Psychologische Psychotherapeutin aus Bonn, die in Remagen nahe dem einstigen Synagogenstandort aufwuchs, ohne dass ihre Familie das Zusammenleben mit Juden je erwähnte, recherchierte bei Zeitzeugen und Nachfahren, in Literatur, Zeitungen und Archiven, um ihre Broschüre von 2007 "Und bin ich auch Israelit ... Geschichte der jüdischen Familie Fassbender" nun überarbeitet und ergänzt herauszugeben.

Das rund 50-seitige bebilderte Büchlein stellte sie im neuen Evangelischen Gemeindehaus dem Projektkreis "Juden in Remagen" vor, der die Ausstellung "Mitbürger unter Vorbehalt - Remagener Juden zwischen Anerkennung und Vernichtung" vorbereitet. Vor dem traurigen Hintergrund, dass nach den Verbrechen des Nationalsozialismus von den Remagener Juden nichts blieb außer Grabsteinen, dem Synagogenstern und einem Hocker, erklärte Ausstellungsorganisatorin Agnes Menacher: "Wenigstens eine jüdische Familie ist jetzt gut dokumentiert."

Auch im Ahrkreis gab es frühe Pogrome, so in den Jahren 1265 und 1287 in Sinzig. Doch von der Kontinuität einer rund 2500-jährigen Judenfeindlichkeit, die besonders Teil europäischer Geschichte ist und sich in Benachteiligung über Verfolgung bis Massenmord äußerte, bleibt Moritz Fassbenders Vita offenbar lange unberührt. Ries stellt den 1849 in Remagen geborenen und in der Silvesternacht 1933/34 verstorbenen assimilierten Bürger, der in seinem Großhandel, Hauptstraße 60 (heute Marktstraße), etliche Remagener und Erpeler beschäftigte, als "tragende Säule gesellschaftlichen Lebens vor".

Er war Vorbeter in der Synagoge, förderte das Handwerk unter den Juden, stattete Remagens arme Kinder zur Erstkommunion aus und soll den Weihbischof mit einem Transparent "Und bin ich auch Israelit, so ehr? ich doch den Bischof mit" begrüßt haben. Er förderte Turnverein sowie Feuerwehr und war Mitglied des Verkehrs- und Verschönerungsvereins.

Als zweitägiges Großereignis mit Sang und Klang, Fackelzug der Nachbarschaft und Vereine, wurde im Juni 1929 die goldene Hochzeit gefeiert, über welche die Rhein- und Ahrzeitung zwei Mal begeistert berichtete. Bürgermeister und katholische Geistlichkeit gratulierten Moritz und Emma Fassbender. Schriftlich tat das auch Reichspräsident von Hindenburg. Die Stadt ehrte das Jubelpaar, indem sie die Synagoge neu streichen ließ. Selbst ein Dreivierteljahr nach der Machtergreifung fielen das Begräbnis und der Zeitungsnachruf auf den verstorbenen Moritz Fassbender sehr würdig aus.

Umso drastischer der Kontrast zu verschärften Diskriminierungen für Juden allgemein. Hinsichtlich der "Judenfrage" stellte Ratsherr Mölling in der Remagener Ratsversammlung vom 19. November 1938 "unter lebhafter Zustimmung aller Ratsherren fest, dass ein Bemitleiden der rassenfremden Schädlinge am deutschen Volkskörper nicht am Platze sei".

Die vier erwachsenen Kinder Fassbenders und deren Kinder erlitten einschneidende Eingriffe: Sohn Julius, promovierter Jurist, emigrierte 1940 mit seiner Frau nach Uruguay, wo er nie heimisch wurde. Tochter Sophie folgte mit ihrem Mann der gemeinsamen Tochter Lieselotte 1939 nach Tel Aviv, wo sie sehr isoliert lebte. Sohn John, Geschäftsnachfolger des Vaters und seine Frau Else wurden, wie ihre Kinder Gerd und Inge, deportiert und in Krasniczyn ermordet. Tochter Clara wurde in Auschwitz ermordet.

Das Büchlein "Und bin ich auch Israelit ... Geschichte der jüdischen Familie Fassbender" gibt es im Remagener Buchhandel und über Agnes Menacher unter der Rufnummer 02642/3406.

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