Eine Remagenerin aus Teheran Ein Leben zwischen den Kulturen

REMAGEN · Rita Schäfer aus Remagen schreibt über ihr Dasein zwischen iranischer Revolution und Selbstbestimmung in Deutschland.

 Rita Schäfer. FAMILIE SCHÄFER

Rita Schäfer. FAMILIE SCHÄFER

Foto: Familie Schäfer

Sie flog zurück nach Deutschland, wohin sie sich 15 Monate zuvor geflüchtet hatte. Während des zweiwöchigen Besuchs bei ihren Eltern in Teheran musste sie erleben, dass islamische Sittenwächter ihre Schwester beinahe ins Gefängnis gebracht hätten – weil sie sich geschminkt hatte. Der Besucherin war es eine Warnung. „Zugleich wurde mir schlagartig klar, dass ich nun heimatlos war. Ich ging von einem fremden Iran weg. Es gab außer meiner Familie nichts, was mich noch an das Land band.“

Diese bittere Erkenntnis nimmt die damals 17-Jährige mit nach Aachen, erste Station in einem Land, das sie bis heute nicht Heimat nennt. Die Deutsch-Iranerin Rita Schäfer erhielt 2007 die deutsche Staatsangehörigkeit und behielt ihren iranischen Pass, da die iranische Regierung sie als Staatsangehörige nicht entließ. 1971 in Teheran geboren, seit 1987 in Deutschland und seit 2013 in Remagen lebend, hat sie sich ihre Erlebnisse von der Seele geschrieben. „Fremdbestimmt“ heißt das Buch über ihr privilegiertes Aufwachsen, das plötzliche Ende ihrer Kindheit, eine durch gewaltsame Veränderungen verwundete Seele und die Eroberung eines neuen Umfeldes.

Zunächst wächst das Nesthäkchen der sechsköpfigen Familie unbeschwert auf der Luftwaffenbasis westlich von Teheran auf, wo der Vater als Ausbilder arbeitet. Im abgeschotteten, gepflegten Bezirk fürs Luftwaffenpersonal können junge Leute sogar Schwimmhallen und Tennisplätze, Konzert- und Partyhallen kostenlos nutzen. Doch es folgt „Die Revolution, der Anfang vom Ende“, wie Schäfer ein Buchkapitel überschreibt. 1979, nach dem Sturz des Schahs, glaubt die Achtjährige, „das Schlimmste überstanden“ und Freiheit und Wohlstand auch für die Armen gekommen. Aus Kindersicht schildert sie sodann die radikale religiös-politische Gleichschaltung. Musik, Theater, Shows im Fernsehen verschwinden. Verhaftungen und Angst greifen um sich. Andersgläubige und Ausländer verlassen über Nacht das Land. Ein Jahr darauf beginnt der Golfkrieg mit Angriffen des Irak auf die Flugplätze der iranischen Luftwaffe. Bomben fallen auf den Teheraner Stützpunkt.

Seitdem gerät ihr Leben aus den Fugen mit Umzügen, um Schutz vor den Bomben zu finden, Vaters Arbeitsplatzverlust, wirtschaftlichem Abstieg, rigiden Verhaltensvorschriften, darunter den Kleidungsregeln für Frauen. Mürbe durch Jahre der Gefahr, Unsicherheit und Einschränkungen flieht die fast 16-Jährige nach Deutschland zum Bruder, fern der übrigen Familie. Der Leser erfährt, wie schwierig es sich für sie gestaltet, in der völlig fremden Umgebung Fuß zu fassen.

Zwischen zwei Kulturen erkämpft die junge Frau, die in der Pharmaindustrie aufsteigt, ihren Weg zur Selbstbestimmung. Doch dauert das Ankommen bis heute an. So will Rita Schäfer, verheiratet und Mutter zweier Kinder, mit dem Buch auch Verständnis für die Situation der zunächst orientierungslosen Flüchtlinge wecken. Auf der anderen Seite wünscht sie sich von Deutschland, dem Land, in dem sie dankbar ein Leben jenseits von Krieg und Unterdrückung kennenlernte, dass den religiös Intoleranten deutliche Grenzen aufgezeigt werden. „Ich möchte nicht erneut fliehen müssen“, endet das Buch.

Books on Demand, (ISBN 9783741290411), 436 Seiten.

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