Kunstausstellung in Remagen „Es muss berührt werden“

REMAGEN · Das ist wirklich ungewöhnlich. In der Remagener Galerie Artspace K2 werden die Kunstwerke von Claudia Lingen ohne Glas oder Vollumrandung ausgestellt. Es sind Seidenbilder, die wie schmale Schals im Raum hängen.

 Ohne Glas und ohne Vollumrandung hängen die Kunstwerke von Claudia Lingen.

Ohne Glas und ohne Vollumrandung hängen die Kunstwerke von Claudia Lingen.

Foto: Hildegard Ginzler

„Wenn eine Brise käme, würden die Bilder zu flattern beginnen“, sagt Christoph Noebel. Der Galerist des Artspace K2 weiß, wovon er spricht. Und Molly Noebel, Künstlerin mit Atelier im Ladenlokal nebenan sowie Ehefrau des Galeristen, weiß es auch. Beim Staubsaugen in der Ausstellung „Vielseidig“ erlebte sie, „dass alle Arbeiten von den Wänden abhoben“. Auch ohne Brise schlagen sie leichte Wellen. Jeder kleine Luftzug versetzt sie ins Schwingen.

Denn Claudia Lingen hat ihre Seidenbilder, die großen Formate im Ausstellungsraum vorne, ebenso wie die schmalen „Schals“ im Raum dahinter, „frei“ gehängt, ohne Glas oder Vollumrandung. Nur ein Steg dient zuoberst als Halt. Wann jemals hat man Seidenmalerei so losgelöst gesehen?

Die Vernissage-Besucher blicken sich verzaubert um. Indem sie, durch die Künstlerin ermutigt, auch einmal gegen die mehrlagigen Schals pusten, lupfen sie die obere bemalte Seide, unter der oft noch ein Motiv zum Vorschein kommt, zum Beispiel ein Badelatschen unter einer Latzhose. Das wäre mit der sonst üblichen Hinterglas-Präsentation unmöglich. Aber Claudia Lingen fragt: „Wie kann man Seide einsperren?“. Für die bei Bad Kreuznach lebende Künstlerin ein Unding. „Es muss berührt werden“, sagt sie und „ich will es leben lassen“.

Zieht schon allein das bewegliche Textil die Betrachter in den Bann, so vermag dies erst recht die originelle, differenzierte Malerei. Ein Pilz erwächst aus dunstiger Umgebung. Im Stillleben baumeln Tuch, Tulpe, Papierschiffchen und Zwiebel an Schnüren, schattiert, präzise umrissen und doch rätselhaft. Vor allem ziehen hauchdünne, fließende Sommerkleidchen das Auge an. Ärmellos, pastellfarben, manche geblümt und gewiss ebenfalls aus Seide, hat Lingen sie so zart und wehend unter den Pinsel genommen, als ob sie sich auch wieder verflüchtigen könnten.

Im Bild „Kragenweite“ etwa wirkt der Stoff unter dem kunstvollen Spitzen-Kragen wie ein Schleier. Ein Blickfang ist das in Raummitte von der Decke hängende und daher beidseitig zu bewundernde, lachsfarbene „Federkleid“. Passend wäre auch der Titel „Federtraum“, da es an Leichtigkeit nicht zu überbieten ist. Der harmonische Zweiklang von Motiv und Material wirkt zudem in den perfekt gemalten seidentypischen Knitter- und Faltenstrukturen einiger Arbeiten.

Galerist Noebel betont, dass diese Seidenmalerei nicht mit der bekannten Freizeitbeschäftigung zu verwechseln sei. Nach einer selbst entwickelten Technik fixiert Lingen einzelne Motive und baut so allmählich ihre Gestaltung auf. Dabei verwundert die Behandlung des feinen Gewebes: Nach jedem Detail wird die um eine Röhre gewickelte Seide vier Stunden in einem Spezial-Kochtopf unter Dampf gesetzt. Danach hält die Farbe und der Stoff ist unempfindlich gegen Berührung.

Was die Motive angeht, die neben dem Sichtbaren „in unaufgeregter Weise auf Geschichten, Begebenheiten und Zeitabläufe verweisen“, können sie hinter der vordergründigen Unbeschwertheit „sogar befremdende Fragen aufwerfen“, wie Noebel erklärt. Lingen, die gerne mit den Kunstfreunden spricht, hat beobachtet, „dass die Menschen die Bilder nach ihren persönlichen Erfahrungen und Gefühlen jeweils verschieden zu deuten wissen“. Und dann kann urplötzlich im Schmunzeln ein Moment der Melancholie andocken.

Die Ausstellung in der Kirchstraße 2 ist bis 7. September geöffnet: mittwochs bis samstags von 15 bis 18.30 Uhr.

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