Das Schnurgerade ist nicht natürlich Turmgespräch im Sinziger Schloss mit Landschaftsökologin Ulla Stüßer

SINZIG · Die Landschaftsökologin Ulla Stüßer beleuchtete beim Turmgespräch im Sinziger Schloss „Die Ahr im Wandel der Zeit“.

 Beim Turmgespräch im Schloss: Ulla Stüßer.

Beim Turmgespräch im Schloss: Ulla Stüßer.

Foto: Martin Gausmann

Erst ungebändigt, dann im Korsett und schließlich wieder freigelassen – die Ahr hat schon einiges erlebt. Ulla Stüßer, promovierte Landschaftsökologin und selbstständige Planerin mit Büro Biotop Consulting Sinzig, erläuterte beim „Turmgespräch im Schloss“ des Fördervereins Denkmalpflege und Heimatmuseum die Veränderungen vom natürlichen Verlauf über Flussregulierungen ab dem 19. Jahrhundert bis hin zu wieder mehr Naturnähe.

Zum Verständnis der jüngsten Maßnahmen charakterisierte sie vorab die Ahr, für deren Unterhalt als Gewässer zweiter Ordnung das Land sorgt. Sie ist einer der größten Eifelflüsse, rund 90 Kilometer lang, weist 400 Meter Gefälle auf, entwässert 900 Quadratkilometer und zahlreiche Nebenflüsse. Kommt es zu Hochwasser, das uns in Zukunft häufiger ereilen werde, dann verstehe man, was der Name „Wilde Tochter des Rheins“ bedeutet, so Stüßer.

Immer in leichten Windungen

„Wasser, das Platz hat, wird immer in leichten Windungen fließen, das Schnurgerade ist nicht der natürliche Zustand“, kommentierte sie eine Karte von 1802, wo die Ahr mäandert. Ab 1832 regulierte man sie zwecks Landgewinnung, wie am geraden Flussbild in Bad Neuenahr-Ahrweiler gut erkennbar. Solche Begradigungen verkürzten den Lauf, beschleunigten ihn und verstärkten die Geschiebemenge. In den letzten Jahren wurde die Ahr vielerorts renaturiert, wobei die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (SGD) auf „die ökologische Funktionsfähigkeit des Fließgewässers“ abzielte. Wehre und andere Hindernisse des Fischzuges wurden beseitigt und ein naturnaher Wasserverlauf geschaffen.

Galt zuvor der technische Ansatz, Flüsse auf Minimal-Raum zu drängen, um Land für die Landwirtschaft und Siedlung zu gewinnen, gewährt ihnen ein Umdenken heute wieder mehr Platz. Seit 1977 steht die Ahrmündung im Nordosten Sinzigs bei Kripp unter Naturschutz. Sie gilt als einziges natürliches beziehungsweise renaturiertes Mündungsgebiet eines Nebenflusses in den Rhein. Schon damals wurde renaturiert, denn 1855 hatte man die Ahr in ein enges Bett gezwängt. Das erhöhte die Fließgeschwindigkeit und den Druck auf den Prallhang eines sich stetig stärker ausformenden Mäanders, wie Stüßer aufzeigte. Die Ahr drohte den Damm vor dem Rhein zu durchbrechen, den Radweg am Rhein zu zerstören und Geröllmassen im Strom abzuladen. Dies zu verhindern, trat 2003 bis Herbst 2005 ein Renaturierungsprojekt an.

Ökologisch wertvolle Strukturen schaffen

Zugleich nutzte es die Chance, ökologisch wertvolle Strukturen zu schaffen. Die Planungen, an denen Stüßer beteiligt war, schlossen eine Kampfmittelortung ein, den Rückbau des Radweges, der die Tiere in der neuen Auenlandschaft stören würde, und die Sprengung eines SWR-Sendemastes. Mehr Durchlass gewährten Sohlgleiter statt der Sohlschwellen. Um den Fluss zu bremsen, baute man in Höhe des Sinziger Klärwerks Uferbefestigungen zurück. Baumstämme als Strömungslenker und künstliche Nebenarme sollten die Ahr zusätzlich anregen, natürlich zu erodieren und Sedimente abzulagern.

Die „unglaubliche“ Entwicklung: Flussverbreiterung, weniger Geschiebe, verschiedene Strömungsparameter auf engstem Raum. Eine nun reiche Fluss- und Uferstruktur begünstigt die Artenvielfalt. Das Bachneunauge lebt im Flussbett. Der Flussregenpfeifer legt seine Eier direkt auf den Kies. Eisvogel oder Wachtelkönig finden Lebensräume. Freilich bleiben noch Aufgaben für die Zukunft: Der Verlauf des Radweges durch die Siedlung ist nicht ideal, es gibt illegale Abwassereinleitungen und ungefilterte Zuläufe bei Hochwasser von der Kläranlage. Auch in der Versöhnung wiederstrebender Bedürfnisse von Natur und Menschen, die Flussnähe suchen, erkannte Stüßer eine Herausforderung.

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