Niederzissener Synagoge Im Buch über die Dachbodenfunde beleuchten Experten die Zeugnisse jüdischen Lebens

NIEDERZISSEN · "Mit viel Elan und absolut laienhaft haben wir in Staub und Dreck gewühlt, um dem Dachboden seine Geheimnise zu entlocken", beschrieb Richard Keuler die mühsame Vorarbeit von Vereinsmitgliedern und Bürgern.

Zur Buchvorstellung "Zeugnisse jüdischen Lebens in Niederzissen. Genisafunde in der ehemaligen Synagoge" hieß der Kultur- und Heimatvereinsvorsitzende Publikum, Förderer und Autoren im einstigen Gotteshaus willkommen, das im März als Erinnerungs- und Begegnungsstätte eröffnete und seitdem mit Kulturangeboten lockt.

Für den Landrat und den anwesenden VG-Bürgermeister Johannes Bell hob Kreisbeigeordneter Fritz Langenhorst die große Beachtung seitens der Fachwelt hervor: Dass Neues über die Gemeinde zutage gefördert wird, "ist wichtig für unsere Geschichte und Nachkommen". Daher warb Fördervereinsvorsitzender Norbert Wagner für Spenden und Vereinseintritte.

"Das Buch ist keine Dokumentation. Vielmehr soll anhand ausgewählter Beispiele ein erster Zugang zur Erschließung geliefert werden", erklärte Professor Falk Wiesemann als Mitherausgeber und -autor.

Ziel war es, so der Experte für jüdische Geschichte der Universität Düsseldorf, "einer ambitionierten Leserschaft die stark durch Religion geprägte Alltagswelt einer jüdischen Landgemeinde näher zu bringen".

Weitere Beiträge über die "Papierschnitzel, Fetzen, ganze Bücher, Textilien und Kulturgegenstände" (Keuler) kommen von Andreas Lehnardt, Professor für Judaistik an der Uni Mainz, seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Elisabeth Singer, Professorin Annette Weber von der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien und Linda Wiesner, die dort über die Niederzissener Funde promoviert.

Richard Keuler und Gisela Reichrath behandeln das Synagogengebäude, und Gerd Friedt und Brunhilde Stürmer beleuchten jüdische Geschichte in und um Niederzissen.

In der Genisa, Hohlraum für abgenutzte religiöse Gegenstände, finden sich Ritualobjekte und heilige Schriften, die nach jüdischem Brauch aus Respekt vor dem Namen Gottes nicht weggeworfen werden dürfen. Spannende Bucheinblicke boten Wiesemann, Singer und Wiesner.

Zu den religiösen Handschriften zählen in Niederzissen gut erhaltene Pergamente für 30 Tefillin (Gebetsriemen) und Mesusot (Türpfostenkapsel), Blätter von drei Torarollen sowie Segenswunsch-Dokumente, etwa ein Hochzeitsvertrag von 1784, interessant wegen der Namen und Verwandtschaftshinweise.

Religiöse Werte und kindliche Höflichkeit vereinend, landete auch die Schreibübung einer Schülerin unter dem Dach. Wertvoll ist der Brief eines Soldaten von 1807. Zudem zeugen Druckwerke "von der jüdischen Lesekultur in einem weitgehend analphabetischen christlichen Umfeld" (Wiesemann).

Was die Niederzissener Genisa indes zu einer der bedeutendsten von 100 in Deutschland macht, sind die Textilien, wie Toramantel, Beutel für Tefillin und Tallit (Gebetsmantelbeutel) aus Seide, Brokat, Leinen und Baumwolle, bemalte und bestickte Beschneidungswindeln, so für Nathan bar Chajjim von 1706.

Im Gegensatz zu den häufiger erhaltenen Luxusausführungen bestehen die Niederzissener Ritualobjekte zumeist aus Alltagsstoffen, was laut Linda Wiesner darauf schließen lässt, dass die Niederzissener Juden "traditionsbewusst und fromm" waren.

Noch harren 30 Bananenkisten und einige Säcke voller Fundstücke der fachkundigen Aufarbeitung. Auch deshalb wurde die 90-seitige Publikation verfasst: "Sie soll eine Werbeschrift für eine notwendige umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung sein", erklärte Richard Keuler.

"Zeugnisse jüdischen Lebens in Niederzissen, Genisafunde...", ISBN 978-3-00?039493-5, hat 80 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und kostet 15 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort