Syrischer Flüchtling in Oberwinter verfasst Prosa Eine Sekunde verändert alles

OBERWINTER · Der junge Syrer Ihaab Haj Khalf ist erst seit einem Jahr in Deutschland. Und er spricht schon so gut Deutsch, dass es viele überrascht. Zudem schreibt der 26-Jährige poetische Texte in deutscher Sprache, die er bereits bei öffentlichen Lesungen vorgetragen hat.

 Ihaab Haj Khalf lebt und dichtet in Oberwinter.

Ihaab Haj Khalf lebt und dichtet in Oberwinter.

Foto: Martin Gausmann

Ihaab Haj Khalf war seit November 2015 mit anderen Flüchtlingen in Remagen untergebracht. Seit September wohnt er bei Familie Jüttner in Oberwinter, wo er gerade erstmals direkt Zeilen auf Deutsch und nicht zuerst auf Arabisch zu Papier gebracht hat.

Zu „Vor einer Sekunde“ animierte ihn das Bild einer Mutter und eines Kindes, die bei einem Angriff auf ein Krankenhaus in Aleppo getötet wurden. Aleppo liegt etwa 60 Kilometer nordöstlich seiner Heimatstadt Idlib. Dort las er schon als Kind vor Familienangehörigen eigene Texte vor.

Sein Vater, ein Lehrer, habe ihn dazu motiviert, erzählt der 26-Jährige. Später hat er Medienwissenschaften studiert, musste das Studium aber 2013 im vierten und letzten Studienjahr wegen des Bürgerkriegs abbrechen. Neben dem Studium hat er eine Zeitlang bei einer Zeitung gearbeitet, die später verboten wurde, und dort vor allem über Korruption geschrieben, aber vieles wegen der Lage im Land „nur indirekt ausdrücken“ können. Jetzt sind seine fiktiven Texte autobiographisch geprägt, aber auch Berichte und Videos aus dem Internet dienen als Grundlage.

Er schreibt überwiegend Prosa, in bildhafter Sprache, teils sehr poetisch, und manchmal auch mit integrierten Verszeilen. Die Ideen kommen ihm oft abends: „Ich bin im Frieden jetzt, aber wenn ich ins Bett gehe und mein Kopf liegt auf dem Kissen, dann muss ich nachdenken.“ Als Protagonisten wählt er immer wieder Kinder im Krieg und zudem Bilder von Vögeln oder vom Fliegen. Gewalt und Tod, Vertreibung, Menschlichkeit und Freiheit sind die Themen des jungen Syrers. Sein erster Text, den er in Deutschland verfasst hat, „Die Fragen eines Kindes“, ist ein Dialog. Ein Auszug: „Kind: Was ist die Heimat, Daddy? – Vater: Die Heimat ist der schönste Ort, der nicht von uns zu bewohnen ist.“ In einem anderen Text beschreibt er wie „im Westen Menschen wie Wellen an die Küsten eines Landes branden.“

Weil Ihaab Haj Khalf an der Universität mit Kommilitonen gegen Baschar al-Assad und für die Freiheit demonstrierte, kam er für einige Tage ins Gefängnis. Danach floh er erst in ein syrisches Dorf an der türkischen Grenze und 2015 mit seiner Kusine und deren sieben Kindern, das älteste davon sieben Jahre alt, über die Türkei und Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Am schlimmsten sei die Fahrt übers Mittelmeer gewesen, weil er Angst gehabt habe, dass das Boot mit den 55 Menschen an Bord kentere „und ich wusste, dass ich dann nicht alle Kinder retten kann.“

Neun Monate habe er warten müssen, bis er die Aufenthaltserlaubnis erhielt und so auch einen Sprachkursus machen durfte, erzählt Haj Khalf. Dann hat er gleich die B1-Prüfung geschafft, die ihm eine fortgeschrittene Verwendung der deutschen Sprache bescheinigt. Mit Hilfe des Internets hat er so schnell wie möglich Deutsch gelernt, aus Angst, wieder abgeschoben zu werden. „Denn hier kann man in Frieden essen und schlafen. Niemand kommt in der Nacht und holt einen ab ins Gefängnis. Hier gibt es Freiheit, hier kann man alles sagen und alles schreiben.“

Auch deshalb ist er der Familie, bei der er wohnt, so dankbar. Genauso der Oberwintererin Christiane von Essen, die ihm beim Feilen an seinen Texten geholfen hat, und dem Verein Schatzkammer, wo er Kontakte knüpfte. Als nächstes möchte der junge Syrer ein eigenes Theaterstück ins Deutsche übersetzen und im Januar den nächsten Sprachkurs beginnen. Sein Traum, sagt er, ist es „ein Journalist ohne Grenzen zu werden wie Jürgen Todenhöfer, um die Freiheit zu suchen. Ich möchte die Wahrheit entdecken, den armen Leuten helfen und schreiben, was in meiner Seele ist.“

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