Gewerbegebiet Goldene Meile Das Beinahe-Atomkraftwerk

SINZIG/BAD BREISIG · Noch vor 40 Jahren hieß das Zauberwort Atomkraft. Und da hätte es beinahe ein Kernkraftwerk zwischen Sinzig und Bad Breisig gegeben. Die ersten Pläne wurden 1972, im Jahr der Olympiade in München, öffentlich. Die Goldene Meile stand als Standort in Rede.

 So hätte das Atomkraftwerk in der Goldenen Meile aussehen können.

So hätte das Atomkraftwerk in der Goldenen Meile aussehen können.

Foto: Fotomontage: Gausmann

Die Weichen sind schon im Frühjahr gestellt worden, ab 2014 gehen die Kommunen der Rheinmeile gemeinsam mit der Grafschaft und Burgbrohl in Sachen Strom neue Wege. Die Kurzformel: Die Kommunen erwerben das Stromnetz von den RWE und verpachten es an den Kooperationspartner und Energiekonzert EVM, der dann den Strom liefert. Interkommunale Zusammenarbeit heißt dabei das Zauberwort.

Noch vor 40 Jahren hieß das Zauberwort Atomkraft. Und da hätte es beinahe ein Kernkraftwerk zwischen Sinzig und Bad Breisig gegeben. Doch schön der Reihe nach.

"Als Jung-Bullen haben wir in Brockdorf die grüne Wiese verteidigt. Direkt vor unserer Haustür wurde dagegen eifrig geplant und auch gebaut." Paul Dresen, Polizeihauptkommissar in Remagen, erinnert sich an die 70er Jahre. "Atomkraft war damals en vogue. Doch nur wenige wissen überhaupt noch, dass es damals auch Pläne für ein Kernkraftwerk in der Goldenen Meile zwischen Sinzig und Bad Breisig gab", sagt der 58-Jährige.

Die ersten Pläne wurden 1972, im Jahr der Olympiade in München, öffentlich. Die Goldene Meile stand als Standort in Rede. "Genauer gesagt, war es der Bereich zwischen den Kiesgruben und dem Rhein", sagt Hans-Joachim Weiß. Der 60-jährige Büroleiter der Sinziger Stadtverwaltung hatte damals gerade seine Ausbildung im Rathaus abgeschlossen und bekam Pro und Kontra hautnah mit. "Planer und potenzieller Bauherr waren die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke", sagt Weiß.

Vorgesehen war damals ein Atommeiler mit einer Leistung von 1300 Megawatt, was vergleichbar mit den Kernkraftwerken Biblis oder Stendal ist. Für den Standort bei Sinzig sprach die direkte Nähe zum Rhein. Denn es wurde Kühlwasser gebraucht. Und damals wurde bei solchen Projekten richtig Gas gegeben. Zwischen Planung und Fertigstellung lagen im Schnitt sieben bis acht Jahre, in den Sechzigern waren es sogar nur fünf Jahre gewesen.

Es gab eine Art Euphorie in Sachen Atomkraft: So führte der im Jahr 2000 verstorbene Josef Ruland aus Bonn 1974 in einem Beitrag des Heimatjahrbuchs des Kreises Ahrweiler als positiven Punkt für die RWE-Pläne die günstige Verkehrssituation und Infrastruktur des Standortes zwischen Sinzig und Bad Breisig ins Feld. Ruland war damals hauptamtlicher Geschäftsführer des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz. Staatliche Landräte im Ahrweiler Kreishaus waren im betreffenden Zeitraum Heinz Korbach (1965-73) und Christoph Stollenwerk (1973-76).

"Es gab etliche Informationsveranstaltungen für die Bürger", erinnert sich Weiß. "Da wurden die Pläne immer nur schön geredet, alles verharmlost. Da wurde zwar diskutiert, aber nicht demonstriert." Auch er habe sich als junger Mann die Sachen genau angehört. Proteste am geplanten Standort hat es nicht gegeben. Das Nachrichten-Magazin "Der Spiegel" nannte 1972 im Zusammenhang mit den Plänen in der Goldenen Meile Umweltschützer noch "Reinheits-Apostel", die das Aufheizen der Flüsse durch Kühlwasser von Reaktoren mit Argwohn beobachten. Die Grünen gab es damals nicht.

Und in derselben Ausgabe stand am 14. August 1972: "Allein für sein in der Umgebung von Bad Breisig bei Remagen geplantes Kernkraftwerk musste Deutschlands größter Stromerzeuger 16 000 Einsprüche von Umweltschützern hinnehmen und kann erst ein Jahr später als beabsichtigt bauen."

"Die Einsprüche waren Unterschriften. Die kamen damals aus der ganzen Umgebung", erinnert sich Weiß. Tschernobyl und Fukushima waren damals noch "böhmische Dörfer", mit Atomkraft wurde Hiroshima und Nagasaki verbunden. Das war gerade einmal 27 Jahre her. Ein Umstand, der die Mainzer Landesregierung unter Ministerpräsident Helmut Kohl damals ebenso wenig scherte wie die Nähe des geplanten Standortes zum Sitz der Bundesregierung in Bonn. Denn schließlich stand das Projekt auf einer von der von Willy Brandt geführten Bundesregierung initiierten Liste potenzieller Standorte.

Gescheitert ist das Projekt aber nicht an den Widersprüchen, sondern an dem, was ursprünglich als Standortvorteil angesehen wurde: am Wasser. Denn ausgerechnet der Schutz des Sinziger Trinkwassers, mit dem heute auch die ganze Verbandsgemeinde Bad Breisig beliefert wird, machte den Planern einen Strich durch die Rechnung. Wasserrecht hebelte den Strom aus. Konsequenz: Ab 1980 wurde in Mülheim-Kärlich gebaut. Und das Kraftwerk war nur 100 Tage am Netz, wird abgerissen.

Grund: Der Meiler steht im erdbebengefährdeten Rheingraben auf zwei sich reibenden tektonischen Platten. "Ein Umstand, der auch auf Sinzig zugetroffen hätte. Nur von diesem Wissen, das in den 60er Jahren Allgemeingut im Volksschulunterricht der Region war, davon wollten die seinerzeitigen Entscheidungsträger nichts wissen", schmunzelt Polizist Dresen.

Und was sagt Bad Breisigs Bürgermeister, Bernd Weidenbach? "Gut, dass das alles so gekommen ist. Sonst hätten wir heute die Ruine von Mülheim-Kärlich vor unserer Haustür stehen. Unser neuer, gemeinsamer Weg beim Strom, das ist Zukunft."

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